Das Glück war Dr. Schnall und damit dem DSM bei diesem Geschäft in zweifacher Hinsicht hold: Erstens besaß das Kendall Whaling Museum, benannt nach dem Vater von Henry Kendall, bereits eine gleiche Schaluppe und konnte sich daher - durchaus im Sinne des Erblassers - von dem zweiten Boot trennen, und zweitens gelang es dem stets von Finanznöten geplagten DSM, den fairen Kaufpreis aus zwei verschiedenen Töpfen in einem Kraftakt zusammenzukratzen.
Der Vater des Nobelpreisträgers, ein passionierter Segler, hatte die Schaluppe, die er wie seinen Augapfel behütete, häufig gesegelt, bis der Sohn, um das Original zu schonen, eine Replik bauen ließ, mit der er seither seine Fahrten an der amerikanischen Ostküste unternahm. Original und Nachbau lagerten danach Seite an Seite in einem Bootsschuppen bei Cape Cod nahe dem Anwesen der Familie Kendall. Henry Kendall unterstützte freigebig - der Familientradition folgend - eine Reihe von Kulturinstituten, die auch von der Geldsumme, die er mit dem Nobelpreis erhielt, erheblich profitierten. Das Kendall Whaling Museum erhielt bei dieser Gelegenheit u. a. eine neue Klimaanlage.
"Mutterschiff" der Schaluppe war übrigens die amerikanische Bark "Wanderer", die es zu einer späten Berühmtheit brachte, danach aber tragisch endete. Als sie sich für den Walfang nicht mehr als wirtschaftlich einsetzbar erwies, spielte sie in den frühen zwanziger Jahren noch eine Hauptrolle in dem zu seiner Zeit berühmten Stummfilm "Down to the Sea by Ship". 1926 strandete sie in der Nähe von New Bedford und zerschellte. Die Schaluppe jedoch blieb erhalten, eine Gelegenheit für Henry Kendalls Vater, sich mit dem Kauf einen Traum zu erfüllen.
Je nach Jagdrevier und Witterungslage ließ sich die Schaluppe sowohl segeln als auch rudern und - wenn sich die Männer ganz nahe an einen Pottwal herangepirscht hatten - paddeln. Mit dem Boot selbst, das zur Zeit noch von einer Glasfaserumhüllung geschützt wird, erwarb Dr. Schnall auch gleich noch den Originalmast, Segel, einige Riemen und Paddel.
Vor der Ostküste im Norden der USA tummelten sich in früheren Jahrzehnten große Pottwalherden. Da sich auch Europäer in diesem Seegebiet am Fang beteiligten, geht Dr. Schnall davon aus, daß sie sich am wichtigsten Werftstandort für Walfangschiffe, New Bedford in Massachusetts, ähnliche oder gleiche Schaluppen bauen ließen wie jene, die demnächst ihren letzten Liegeplatz im DSM einnehmen wird.
Daß ausgerechnet das Deutsche Schiffahrtsmuseum in Bremerhaven die Möglichkeit erhielt, dieses seltene Objekt zu erwerben, läßt sich mit einer schlichten, aber einleuchtenden Anmerkung von Uwe Schnall erklären: "Weil Stuart M. Frank mein bester Freund ist." Der Direktor des Kendall Whaling Museums dachte spontan an keinen anderen als an seinen Kollegen auf der anderen Seite des Atlantiks in Bremerhaven, als für ihn feststand, daß er aus dem Nachlaß des Nobelpreisträgers eine zweite Schaluppe erhalten würde, die er nicht benötigte. Der Kaufpreis dafür, so war es im Testament von Henry Kendall festgeschrieben, wird dem Kendall Whaling Museum zugute kommen.
Inzwischen hat das Deutsche Schiffahrtsmuseum dafür Sorge getragen, daß die Schaluppe per Schiff den Atlantik queren kann. Die Ankunft in Bremerhaven steht kurz bevor.
Hinweis: Die Veröffentlichung des Info-Service ist kostenfrei. Wir bitten jedoch bei Druckmedien um Übersendung eines Belegexemplars.