Deutsches Schiffahrtsmuseum

Presse-Info-Service

Info Nr. 04/01 vom 13.02.2001

Visueller Kommentar mit roter Fahne

Wilhelmshavener Künstler und Dozent an der Universität Oldenburg schenkt dem Deutschen Schiffahrtsmuseum zwei Bilder zu Werken des Marinemalers Siehl-Freystett aus dem Jahre 1918

Der Beweis für eine These, die sich beim flüchtigen Lesen unwahrscheinlich anhört, ist erbracht und neuerdings sogar im Deutschen Schiffahrtsmuseum (DSM) in Bremerhaven zu besichtigen. Die These lautet: Kommentare lassen sich nicht nur, wie es eigentlich üblich ist, schreiben oder sprechen, sondern auch malen und zeichnen. Zwei visuelle Kommentare zu Ölgemälden des Marinemalers Johann Georg Siehl-Freystett (1868 - 1919) hat der Wilhelmshavener Künstler und Oldenburger Universitätsdozent Dr. Hartmut Wiesner kürzlich dem DSM vermacht. Er hat einander ähnliche Ölgemälde mit dem gleichen Titel "November 1918" aus marinehistorischer Sicht kritischer und, von jeglichem Pathos befreit, objektiver gedeutet als seinerzeit Siehl-Freystett, dessen deutsch-nationale, streng vaterländische Gesinnung im Grunde gerade in diesen beiden Bildern aus der Zeit des Matrosenaufstandes 1918 und der Entmunitionierung der deutschen Kriegsflotte gar nicht einmal so recht zum Ausdruck kommt.

Prof. Dr. Lars Ulrich Scholl, zu dessen Aufgabenbereich im Deutschen Schiffahrtsmuseum die Marinegeschichte gehört, wurde eher durch einen Zufall auf Siehl-Freystett aufmerksam. Als er Anfang der achtziger Jahre in Nordenham tanken musste, entdeckte er beim Bezahlen im kleinen Autosalon nebenan erstmals ein Ölgemälde des ihm bis dahin nur vom Namen her bekannten Marinemalers. Scholl bot der Eigentümerin an, ihr eine andere Dekoration des Raumes zu verschaffen, wenn sie dafür das Bild dem Museum überlasse. Die Dame von der Tankstelle willigte ein, aber zum Tausch kam es nicht mehr, weil sie kurz darauf verstarb.

Zum Glück erwies sich der mit der Nachlassabwicklung beauftragte Nordenhamer Rechtsanwalt als verständnisvoll und entgegenkommend: Das DSM konnte das künstlerisch wertvolle Gemälde für eine nominelle Summe aus dem Nachlass erwerben. Es zeigt die Kaiserliche Flotte in der Kieler Förde und hängt seit dem Ankauf in der Schausammlung des Museums.

Bei Prof. Dr. Scholl war seit dieser ersten Begegnung die Neugier geweckt. Er stieß in Wilhelmshaven auf einen forschenden Weggefährten, dessen Interesse ebenfalls auf diesen Maler fokussiert war: Hartmut Wiesner schrieb gerade an seiner Dissertation über das Leben und Wirken von Johann Georg Siehl, einem Autodidakten, der zwar das Malerhandwerk erlernt hatte, dem aber eine künstlerische Ausbildung versagt geblieben war. Er hatte sich mit großem Energieaufwand die Technik der Ölmalerei und der Graphik selbst erarbeitet und es als Künstler zu hohem Ansehen gebracht. Siehl, der seinem Geburtsnamen später als Erkennungszeichen seinen oberrheinischen Geburtsort Freistett, aber mit "y" anhängte, gab seinem Leben erst die entscheidende Wende, als er ab 1888 gerade in Wilhelmshaven als Freiwilliger seinen vierjährigen Militärdienst bei der II. Matrosen-Artillerie-Abteilung abgeleistet hatte: Er blieb in Wilhelmshaven, verdiente seinen Lebensunterhalt fortan nicht als Malergeselle, sondern - anfänglich mehr schlecht als recht - mit photographischen Arbeiten. Er eröffnete sogar ein Photogeschäft. Und - vor allem - er begann zu malen: die Marschen- und Moorlandschaft im Nordwesten Deutschlands, die Stadt selbst und die sie dominierende Marine mit ihren Schiffen, Hafenanlagen und der Kaiserlichen Werft. Als Künstler brachte er es zu beachtlichem Wohlstand. Seine Bilder gefielen eben. Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges diente Siehl-Freystett, der sich sofort freiwillig gemeldet hatte, als Marinemaler, bekannt für seine schnell gefertigten und qualitätsvollen Zeichnungen. Das Ende des Krieges hat er nicht lange überlebt: Er starb überraschend am 15. August 1919 während der Arbeit an dem kleinen Ölgemälde "Nassauhafen", das unvollendet blieb, an den Folgen eines Schlaganfalles.

1986 begab sich Prof. Dr. Scholl nach Freistett, einer rechtsrheinischen Gemeinde im badischen Hanauerland, dem Geburtsort des Malers, und begann über ihn zu forschen. Viel Unterstützung fand er bei den in Freistett ansässigen Mitgliedern des Historischen Vereins für Mittelbaden. Er feierte 1986 sein fünfzigjähriges Bestehen, und so konnte sich Scholl für die gewährte Hilfe gleich mit einem passenden Geburtstagsgeschenk bedanken: Er stellte eine Anzahl von Gemälden zusammen und präsentierte eine Ausstellung just zu den Tagen, an denen die badischen Historiker ihr Jubiläum in Freistett feierten.

Anlässlich einer Siehl-Freystett-Gedächtnisausstellung schrieb der Wilhelmshavener Schriftsteller Hermann Ahner im Wilhelmshavener Anzeiger vom 4. Februar 1935 eine Würdigung. Ein Zitat daraus setzte Hartmut Wiesner im Jahre 1981, als er seine beiden visuellen Kommentare malte und zeichnete, seinem Bild "Mit roter Fahne" an die Seite. Es lautete: "Dann kam der Krieg, der ihm einen Sohn nahm, es kam das Ende mit der Schmach von 1918. Siehl-Freystett ist ein deutscher Mann gewesen, ein vaterlandsliebender Mensch. Durch die Kunst war er mit unserer Heimat verwurzelt, so mag er wohl auch deshalb schwer unter dem Zusammenbruch von 1918 gelitten haben. Seine Witwe sagte, dass ihm das Leid um sein Vaterland das Herz gebrochen hat." Dass sich Siehl-Freystett mit dem Gewehr in der Hand an der Niederschlagung der Kommunistenunruhen beteiligte und die Städtewehr gründete, ließ Ahner nicht unerwähnt, und Wiesner zitierte die entsprechende Passage.

Siehl-Freystett hatte Kriegsschiffe, offenbar Panzerkreuzer, an der Kaje gemalt. Sie sollten später, wie bekannt, als Kriegsbeute an die Sieger ausgeliefert werden. In seinen visuellen Kommentaren beschränkt sich Wiesner jeweils auf ein Schiff, das - über das Heck sinkend - mit schwerer Schlagseite im Wasser treibt, dem Untergang, wie er sich später in der Bucht von Scapa Flow durch Selbstversenkung ereignete, schon geweiht. Eine riesige rote Fahne beherrscht die Szene, quasi als Synonym für den Matrosenaufstand in Wilhelmshaven und Kiel. Das Schlachtschiff nimmt sich gegen das rote Tuch geradezu winzig aus. Ein Eisernes Kreuz am Bande und Blutflecken am unteren Bildrand stehen zueinander in einem sonderbaren Kontext.

Das von Wiesner kommentierte Siehl-Freystett-Gemälde befand sich im Besitz des seit Jahren geschlossenen Küstenmuseums in Wilhelmshaven und kann nicht seinem Kommentar gegenübergestellt werden. Dafür besitzt das DSM seit Jahren wenigstens ein zweites Bild des Marinemalers. Es hat einen Dampfhammer in einer Werkstatt der Kaiserlichen Werft zum beherrschenden Motiv.

Hinweis: Die Veröffentlichung des Info-Service ist kostenfrei. Wir bitten jedoch bei Druckmedien um Übersendung eines Belegexemplars.


zurück