Deutsches Schiffahrtsmuseum

Presse-Info-Service

Info Nr. 05/98 vom 30.03.1998

Plakat mit einem U-Boot ließ Erinnerung an einen genialen Unternehmer aufleben

Poster des berühmten Künstlers Ludwig Hohlwein aus der Zeit vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges nun im Besitz des Deutschen Schiffahrtsmuseums - Bronzebüste von Ernst Schiess folgte als Dauerleihgabe - Düsseldorfer Unternehmen war ein bedeutender Zulieferer der Werften an der Küste

Das 90 Zentimeter hohe und 125 Zentimeter breite Plakat, auf das der Historiker Klaus-Peter Kiedel begehrliche Blicke geworfen hatte, entstand etwa zwei Jahre vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges in der Druckerei Fritz Maison in München und zeigt vor hellblauem Hintergrund ein U-Boot in Fahrt und eine imposante Lochstanze. Die Beschriftung lautet knapp aber einprägsam: "Werftmaschinen Schiess/Düsseldorf". Was Kiedel neben diesem historischen Bezug zusätzlich in den Fingern kribbeln ließ: Die Reinzeichnung hatte der berühmte Plakatkünstler Ludwig Hohlwein (1874 bis 1949) geschaffen, und das Poster war überdies wegen kleiner, aber unwichtiger Schäden zu einem außerordentlich günstigen Preis zu haben. Da gab es für Kiedel, Leiter des Archivs am Deutschen Schiffahrtsmuseum (DSM) in Bremerhaven kein Halten mehr: Er mußte das Plakat haben und erwarb es dann auch im Auktionshaus Jörg Weigelt in Hannover.

Mit diesem Coup sollte es jedoch nicht sein Bewenden haben. Als Kiedel damit begann, der Vergangenheit jener Schiess AG nachzuspüren, die einstmals zu den bedeutendsten Zulieferern der deutschen Werften zählte, inzwischen aber in der Mönchengladbacher Unternehmensgruppe Dörries-Scharmann AG aufgegangen ist, erfuhr er nicht nur alles Wesentliche über den Selfmademan und genialen Unternehmer Ernst Schiess (1840 bis 1915) sondern konnte ihm bald auch posthum ins Angesicht schauen: Die Dörries-Scharmann AG überließ dem DSM als Dauerleihgabe eine prachtvolle bronzene Büste von Ernst Schiess samt dem Unterschrank, auf dem sie viele Jahre in Düsseldorf und später in Mönchengladbach gestanden hatte. Plakat und Büste werden nach Fertigstellung des Erweiterungsgebäudes in der Schausammlung einen hervorgehobenen Platz erhalten.

Die Überzeugungsarbeit, daß die Büste ins Deutsche Schiffahrtsmuseum gehört, hatte in Mönchengladbach eine geschichtsbewußte Mitarbeiterin geleistet. Sie soll, so wünscht es sich Klaus-Peter Kiedel, auf jeden Fall als Ehrengast dabei sein, wenn in gut einem Jahr das künstlerisch wertvolle Plakat und die imposante Büste endlich der breiten Öffentlichkeit präsentiert werden können.

Der Magdeburger Ernst Schiess legte eine Karriere hin, wie sie in Europa wohl nur in den sogenannten Gründerjahren möglich war. Er besuchte die Technischen Hochschulen in Hannover, Karlsruhe und Zürich und durchlief während seiner Wanderzeit eine praktische Ausbildung in Deutschland, Belgien und England. Als Lehrling in Manchester gewann er die entscheidende Erkenntnis, daß die Werkzeugmaschine als "Mutter aller Maschinen" in Zukunft für die weitere industrielle Entwicklung eine Schlüsselposition einnehmen wird. Damit sollte er recht behalten.

Sein Entschluß stand nun fest: Er wollte eine Werkzeugmaschinenfabrik aufbauen. Ernst Poensgen, einer der Gründer der Düsseldorfer Schwerindustrie, hatte erkannt, was in dem jungen Ingenieur steckte und überzeugte Schiess davon, daß die Stadt am Rhein der geeignete Standort zur Realisierung seiner Pläne wäre. Mit sechs Arbeitern startete Ernst Schiess 1866 in Oberbilk, einem Außenbezirk Düsseldorfs, die Produktion von Werkzeugmaschinen, Pumpen und Reglern und schuf damit den Grundstock für eines der späterhin weltweit bedeutendsten Unternehmen seiner Art. Schon drei Jahre später, nachdem er die Tochter eines vermögenden Magdeburger Bankiers geheiratet hatte, ließ er eine Fabrik errichten, zu der nach weiteren drei Jahren eine Eisengießerei kam.

Schiess expandierte ständig. Er war nicht nur ein befähigter Ingenieur und weitsichtiger Unternehmer, sondern auch sein eigener Verkäufer, Marketing-Manager und Designer. Schon 1872 verbuchte er die ersten Auslandsaufträge. Die 1886 gebaute einsäulige vertikale Bohrmaschine auf einem Tisch mit neun Metern Durchmesser und die 1901 entwickelte Drehbank für Werkstücke bis zu 35 Meter Länge bedeuteten damals Weltbestmarken.

Und Schiess erkannte auch andere Zeichen der Zeit. 1891 betrieb er die Gründung der "Vereinigung deutscher Werkzeugfabriken", deren Mitglieder ihn prompt auf der konstituierenden Versammlung am 7. Dezember des gleichen Jahres in Hannover zum Vorsitzenden wählten. Am 14. September 1906 schließlich, an seinem 66. Geburtstag, änderte er sein Unternehmen in eine Aktiengesellschaft um, erwarb jedoch selbst 3296 der insgesamt 3300 Aktien, für die er 1.926.000 Mark bezahlte. Die anderen vier Mitbegründer, seine Schwiegersöhne, der Bankier Wilhelm Pfeiffer und der Kaufmann August von Waldthausen, sowie Kommerzienrat Franz Daniel und Kommerzienrat Carl Clönne, erhielten je einen Anteilsschein.

Ernst Schiess war schon dreißig Jahre tot, als das Unternehmen 1945 vor einem Neubeginn stand: Alle fünf Fabriken waren vollständig demontiert und als Reparationsleistungen abgeliefert worden. Das Zentrum der neuen Schiess AG Düsseldorf entstand auf einem wesentlich größeren Gelände im Ortsteil Lörick.

Erst in den neunziger Jahren kam das Aus für den Standort Düsseldorf und der Umzug nach Mönchengladbach: Der Name eines der erfolgreichsten deutschen Unternehmers ist aus dem Handelsregister getilgt. Die Erinnerung an Ernst Schiess aber wird im DSM gepflegt und am Leben gehalten.

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