Deutsches Schiffahrtsmuseum

Presse-Info-Service

Info Nr. 08/98 vom 30.04.1998

Einer gestrandeten "Schönen der Meere" auf der Spur

Künstlerische Spurensuche zur Geschichte und zum tragischen Ende der AMERICA - Ein Passagierschiff scheitert an der Westküste Fuerteventuras - Der Künstler Klaus Berends barg viele Objekte selbst aus dem Wrack und fügt sie in einen poetischen Zusammenhang - Erinnerungen an das Passagierschiff sind in Bremerhaven besonders lebendig

Ihre Schönheit stach jedem, der sie erblickte, wohltuend in die Augen, und für die Bremerhavener bedeutete ihr erster Besuch im Jahre 1951 einen Lichtblick, der auf bessere Zukunft hoffen ließ: Seitdem die AMERICA der United States Lines regelmäßig die Columbuskaje anlief, war ein deutscher Hafen nach zwölfjähriger kriegsbedingter Unterbrechung endlich wieder in den Nordatlantikdienst der Passagierschiffahrt einbezogen. Umso trauriger das tragische Ende des eleganten Oceanliners: Die AMERICA, die später manch anderen Namen trug, strandete 1994 auf dem Weg zu einer Reparaturwerft in Thailand und zerbrach vor der Westküste von Fuerteventura in zwei Teile.

Das Unglück geschah quasi vor der Haustür von Klaus Berends. Der gebürtige Papenburger, der ursprünglich einmal bei der Sürken-Werft den Beruf des Technischen Zeichners gelernt hatte und noch während seines Studiums an der Hochschule für Kunst und Musik in Bremen 1984 den Bremer Förderpreis erhielt, lebt und arbeitet in Tartajalejo auf Fuerteventura. Das Wrack zog und zieht ihn immer noch magisch an.

Als er das erste Mal zum Wrack schwamm, war alles Nützliche an Ausstattung schon geraubt worden. Berends sammelte das auf den ersten Blick Unnütze und verarbeitete es zu Bildern und Objekten. Seine künstlerische Spurensuche zur AMERICA zeigte er bereits 1996 in Santa Cruz auf Teneriffa. Die Ausstellung soll in immer wieder veränderter Form in allen Hafenstädten gezeigt werden, die der Ozeanriese während seiner Fahrenszeit anlief, von Bremerhaven über Southampton bis zu Häfen in Neuseeland und Australien, die zum Liniendienst des Schiffes in den 60er Jahren hinzukamen. Das Deutsche Schiffahrtsmuseum (DSM) macht vom 9. Mai bis Mitte Juli den Anfang. Die nächste Station ist Puerto Rosario, die Hauptstadt Fuerteventuras.

Inzwischen ist das auf den Kanarischen Inseln im Container verpackte Ausstellungsgut über Bremen im Deutschen Schiffahrtsmuseum in Bremerhaven eingetroffen, bereits sehnlichst erwartet von der Kunsthistorikerin Dr. Nicola Borger-Keweloh, die in Bremerhaven für die Betreuung der Ausstellung zuständig ist und den Katalog geschrieben hat. Klaus Berends hat schon vorgeplant, wie die Ausstellung gestaltet werden soll. Mit den Objekten im Container könnte er auch größere Räume füllen. Sein Fundus eröffnet ihm die Möglichkeit, die Ausstellung zwar nach einem festen Grundkonzept, aber dennoch jedesmal auf ganz neue und andere Weise zusammenzustellen.

Am Anfang des Rundgangs, in einem kleineren schlauchartigen Raum, steht die nüchterne Dokumentation: Die Geschichte des Schiffes wird erzählt, vom Stapellauf am 31. August 1939 in Newport News, USA, bis zur Strandung am 18. Januar 1994 auf einer Sandbank vor Fuerteventura. Schon der Start hatte unter keinem günstigen Stern gestanden. Weil in Europa der Zweite Weltkrieg ausgebrochen war, konnte die AMERICA zunächst nicht im Nordatlantikdienst eingesetzt werden. Statt dessen unternahm sie Kreuzfahrten zu den Westindischen Inseln. 1941 rüstete die US Navy das Schiff in einen Truppentransporter um. Fünf Jahre versah sie unter dem Namen WESTPOINT Kriegsdienst. Erst 1946 wurde sie wieder zum Passagierschiff.

Seit 1964 fuhr das Schiff als AUSTRALIS für die Chandris Lines, nun nicht mehr als Dampfer der 1., 2. und der Touristenklasse, sondern als Einklassenschiff, mit über 2000 Passagieren. Nach einer kurzen Zwischenphase als Mittelmeerkreuzschiff ITALIS wurde sie 1980 in Piräus aufgelegt und fristete als NOGA das unverdiente Dasein eines Hotelschiffes. Ein neuer panamesischer Eigner wollte die einstige "Schöne der Meere" 1993 unter dem Namen AMERICAN STAR wieder in Fahrt bringen. Das Vorhaben scheiterte am Orkan.

Soweit die Geschichte der AMERICA. Deren Dokumentation mit Fotos aus dem Bestand des Archivs des Deutschen Schiffahrtsmuseums kann Klaus Berends mit Bauplänen und Blaupausen z.B. von der Warmwasserversorgung des Schiffs in den 40er Jahren, die er im Wrack entdeckte, ergänzen.

Die eigentliche Ausstellung gilt der sinnlichen Seite der AMERICA. Im Grundriß eines Teils des Schiffsdecks, den er auf den Boden im Sonderausstellungsraum klebt, läßt er seine Objekte auf poetische Weise sprechen: eine Auswahl der Krankenakten von Passagieren und Besatzungsmitgliedern aus dem Hospital des Wracks lassen Menschenschicksale aufleuchten. Objekte aus rostendem Metall, ein schwimmender Scheinwerfer oder auch Eierschalen in immer gleichen Objektkästen, Schiffsmodelle, die wie aus grauer Vorzeit zu stammen scheinen, Schiffsgrundrisse, Reparatur- und Wartungsanweisungen für Maschinen, die keiner mehr braucht, alte Plakate und unbenutzte Postkarten - sie alle sind Spuren von Menschen, die auf dem Schiff arbeiteten, reisten und manchmal auch starben. Sie alle sind Zeichen von Vergänglichkeit und vom Scheitern moderner Technik vor der Gewalt der Natur.

Die Ausstellung "Renewal Parts - S.S. AMERICA - die Agonie eines Kolosses" wird am Sonnabend, 9. Mai 1998, 11 Uhr, im Vortragssaal des Deutschen Schiffahrtsmuseums eröffnet.

Hinweis: Die Veröffentlichung des Info-Service ist kostenfrei. Wir bitten jedoch bei Druckmedien um Übersendung eines Belegexemplars.


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