Deutsches Schiffahrtsmuseum

Presse-Info-Service

Info Nr. 07/00 vom 23.03.2000

Eine einzige Erfolgsstory: 20 Jahre "Schiffe aus Papier"

Raddampfer "Meißen" war das erste Kartonmodell aus dem Deutschen Schiffahrtsmuseum - Manche Baubogen erschienen in Auflagen von über 40.000 Exemplaren - Jedes Jahr "Familientreffen", alle vier Jahre ein internationaler Wettbewerb - Arbeitskreis forscht seit 1998 über die Geschichte des Kartonmodellbaus

Als der damals 33jährige Historiker Dr. Siegfried Stölting im Sommer 1979 seine Tätigkeit als Museumspädagoge am Deutschen Schiffahrtsmuseum (DSM) in Bremerhaven aufnahm und sein neues Aufgabenfeld definierte, erschienen vor seinem geistigen Auge die Schiffe, die er selbst als Schüler als Modellbaubogen angefertigt hatte. "Was man selbst mit den Händen erarbeitet hat, bleibt auch im Kopf hängen", schloß er und entwickelte folgerichtig eine Idee, mit deren Verwirklichung er einen kleinen Boom in Gang setzen sollte. Ende März 1980 und somit vor 20 Jahren erschien der erste Baubogen aus dem Deutschen Schiffahrtsmuseum, ein Kartonmodell des Raddampfers "Meißen", von dem das originale Mittelschiff sich im Museum befindet. So schlug damals die Geburtsstunde der inzwischen europaweit, sogar in den USA, Kanada und Israel bekannten und begehrten Bremerhavener "Schiffe aus Papier".

Seit 1980 sind gut 50 Modelle aus dem DSM auf den Markt gekommen. Viele sind längst vergriffen, einige, so die Bremer Hansekogge, das Feuerschiff "Elbe 3", die am 24. Mai 1868 vom norwegischen Bergen aus zur Ersten Deutschen Polarforschungsexpedition gestartete nordische Jacht "Grönland" (heute DSM-Museumsschiff und immer noch seetüchtig) und der Leuchtturm "Roter Sand" brachten es sogar auf Verkaufszahlen von über 40.000 Exemplaren, wie Dr. Stölting überhaupt von mehreren besonders beliebten Bogen immer wieder Neuauflagen drucken lassen mußte.

Die "Meißen" war noch ein recht schlichter Bogen, an dem die damalige Technische Zeichnerin des Museums immer dann gearbeitet hatte, wenn sie zufällig einmal nichts anderes zu tun hatte, und das war selten genug. Schwieriger noch: Der Start mit den Bremerhavener "Schiffen aus Papier" fiel in eine Zeit, als der Kartonmodellbau völlig aus der Mode war und die meisten seiner Anhänger an den Plastikmodellbau verloren hatte. Die Voraussetzungen für das DSM-Projekt waren somit anfangs gar nicht rosig, doch die Situation sollte sich sehr rasch verbessern. Zum einen fand Dr. Stölting für seine Modellbaubogen von der Sache begeisterte Konstrukteure, zum anderen suchte und fand er Partner für die Produktion. Schon beim ersten Bogen mit der "Meißen" griff ein weltbekanntes Unternehmen (Kellogg) dem Museum unter die Arme. In der Folgezeit ging Stölting Kooperationen mit anderen Firmen wie der Deutschen Bahn, Verbänden, Museen, Schulen und Bootseignern ein. Bei der Hansekogge zum Beispiel war die Bremen-Werbung als Sponsor zur Stelle. Diesen Bogen, der - weil das mittelalterliche Schiff nun einmal das bedeutendste Ausstellungsstück im Museum ist - zum ständigen Bestand gehört, möchte der Historiker demnächst neu gestalten lassen: "Er soll einfacher werden, damit auch weniger Geübte diese Arbeit meistern können."

Nicht nur an den steigenden Verkaufszahlen, die den Finanzen des Hauses zugute kamen, ließ sich ablesen, daß der Kartonmodellbau sich nach Jahren der Stagnation wieder im Aufwind befand. Als 1989 die Preisverteilung des ersten vom Deutschen Schiffahrtsmuseum ausgerichteten Internationalen Kartonmodellbau-Wettbewerbs "Schiffe aus Papier" stattfand und bei dieser Gelegenheit die preisgekrönten Modelle in einer Sonderausstellung präsentiert wurden, war der Hörsaal bis auf den letzten Platz besetzt. Seitdem schrieb das Museum im Abstand von vier Jahren diesen Wettbewerb aus.

Ein weiterer fester Termin ist in vielen Taschenkalendern fest angekreuzt. Alljährlich zum letzten Wochenende im April lockt das DSM die maritim orientierten Kartonmodellbauer zu einem großen internationalen Treffen in die Seestadt Bremerhaven. Tendenz: von Jahr zu Jahr steigend. Am 29. und 30. April 2000 wird das zwölfte stattfinden. Die Anmeldungen aus den verschiedenen Herkunftsländern lassen erkennen: Die Teilnehmerschar wird immer internationaler.

Seitdem sich 1998 am Deutschen Schiffahrtsmuseum der Arbeitskreis "Geschichte des Kartonmodellbaus" gründete, der sich ausschließlich der Forschung verschrieben und damit ein weites Feld zu beackern hat - die Historie reicht schließlich weit ins 19. Jahrhundert zu den legendären Ausschneidebogen von Gustav Kühn aus Neuruppin -, nimmt auch die anfänglich vorhandene Skepsis von Wissenschaftlern deutlich ab. Mittlerweile haben sich die "Schiffe aus Papier" nicht nur in der Schausammlung des Deutschen Schiffahrtsmuseums ihren festen Platz erobert; sie werden zunehmend auch in anderen Museen ausgestellt. Zu einem wahren "Renner" hatte sich von Anfang an die Sonderausstellung entwickelt, die bisher an 17 Orten ein jeweils mehrwöchiges Gastspiel gab.

Während seiner zwanzigjährigen Tätigkeit hat Dr. Stölting festgestellt, daß die landläufige Meinung, "Schiffe aus Papier" würden überwiegend von Kindern und Jugendlichen "gebastelt", schlicht falsch ist. "Dieses Hobby üben fast nur Erwachsene aus, und sie sind es auch, die die Spitzenmodelle und ganze Dioramen entwerfen und herstellen." Wie er überhaupt den Begriff "Basteln" im Zusammenhang mit dem Kartonmodellbau für nicht angebracht hält. Einzig die Bauvorlage für das Modell eines Wikingerschiffes bezeichnet er selbst als Bastelbogen.

Kurz vor dem Jubiläum ist ein neuer, anspruchsvoller Kartonmodellbaubogen herausgekommen: die 1939 in Norwegen gebaute Galeasse "Solvang", die sich nun im Maßstab 1:100 nachbauen läßt. Das Original wird heute noch als Traditionssegler von einem deutschen Eigner in Fahrt gehalten.

Hinweis: Die Veröffentlichung des Info-Service ist kostenfrei. Wir bitten jedoch bei Druckmedien um Übersendung eines Belegexemplars.


zurück