Deutsches Schiffahrtsmuseum

Presse-Info-Service

Info Nr. 10/99 vom 23.06.1999

Selbst bei den Nazis blieb der Kapitän "Master next God"

"Deutsches Schiffahrtsarchiv" berichtet über die Bemühungen der Nationalsozialisten um die politische Organisation der deutschen Seeleute - Band 21/1998 enthält 25 Beiträge zu Themen der Schiffahrtsgeschichte

Unter den 25 Beiträgen - allein diese Anzahl ist beeindruckend - , die das "Deutsche Schiffahrtsarchiv" in seinem soeben erschienenen Band 21/1998 den Lesern offeriert, verdient einer besondere Beachtung, weil er ein dunkles, das braune Kapitel der Sozialgeschichte der deutschen Schiffahrt aufschlägt und ausleuchtet: Professor Dr. Peter Kuckuk aus Bremen hat unter der Headline "Seefahrt unter dem Hungerhaken" nachgezeichnet, wie sich die Nationalsozialisten mehr oder (besser) weniger erfolgreich bemühten, die deutschen Seeleute politisch zu organisieren und zu indoktrinieren. Das Ziel las sich in der strikt auf der Parteilinie befindlichen Zeitschrift "Seefahrt ist not" 1935 so: "Es ist der Wille des Führers, daß der Nationalsozialismus in die letzte Hütte und in das letzte deutsche Schiff eindringt." Viele politisch andersdenkende Seeleute beugten sich diesem Willen nicht. Sie nannten das Hakenkreuz, wenn sie unter Gleichgesinnten waren, abfällig den "Hungerhaken".

In der Tat waren Verpflegung und Unterkünfte auf vielen deutschen Schiffen eher dazu angetan, die Stimmung unter den Seeleuten gegenüber dem neuen Regime abkühlen zu lassen. Das mußte selbst der NS-Funktionär Kurt Thiele einräumen. Thiele der 1925 in Bremerhaven die NSDAP gegründet hatte und später Gauleiter Seefahrt in Hamburg wurde, deckte in einer Untersuchung über die sozialen Verhältnisse auf deutschen Seeschiffen erhebliche Mißstände auf. Auf manchen Schiffen, stellte er fest, verschmähten die Besatzungsmitglieder die miserablen warmen Mahlzeiten und aßen statt dessen lieber Brot, mit dem Ergebnis, "daß die Margarine schon mittwochs immer alle ist". Noch im Jahre 1936 sagte ein Seemann aus: "Im Heizerlogis müssen wir mit 10 Mann schlafen, dabei dient das Logis noch gleichzeitig als Eßraum (Messe) für 13 Mann. Wir schlafen und essen in einer Höhle, die eher als Schweinestall bezeichnet werden kann. (....) Mit uns zusammen wird das Logis von unzähligen Ratten einer besonders großen Qualität bewohnt."

Schon 1932 hatten die Nazis damit begonnen, die auf deutschen Schiffen existenten Gruppen von Parteimitgliedern - und deren waren nicht sehr viele - in einer besonderen "Abteilung Seeschiffahrt" zusammenzufassen, die später zur Auslands-Organisation (AO) gehörte. Die Gründung von Ortsgruppen gelang am ehesten noch auf den großen Passagierschiffen. Die "Europa" war im Sommer 1933 das Schiff mit der stärksten NSDAP-Ortsgruppe und dem höchsten Organisationsgrad von fast 100 Prozent. Als eines der wirklichen Nazischiffe galt die "Main" des NDL - "mit Marinesturm und allem Tamtam", wie das antifaschistische Untergrundorgan "Die Schiffahrt" sarkastisch berichtete. "Sogar bei der blödsinnigsten Hitze wird in der Roten See exerziert und für die Belange des Dritten Reichs viel Schweiß verloren".

Eine bedeutende Position auf jedem Schiff nahm der "Politische Leiter" ein, den die Auslands-Organisation bestimmte und der einen besonderen Dienstanzug zu tragen hatte. Ihm unterstand der SA-Führer an Bord, er hielt außerhalb des Heimathafens Versammlungen und Schulungsabende ab und konnte zu seiner Unterstützung Zellen- und Kassenwarte einsetzen. Die außergewöhnliche Stellung des Kapitäns als des absoluten Inhabers der Schiffsgewalt wagten selbst die Nazis nicht anzutasten - der Kapitän blieb der "Master next God".

Der Abschnitt "Sozialgeschichte" enthält übrigens noch zwei weitere bemerkenswerte Arbeiten. Ursula Feldkamp forschte über "Die ersten Stewardessen auf bremischen Passagierschiffen" und legte die Ergebnisse darüber vor, Christine Keitsch hat den ungewöhnlichen Lebenslauf der Annaliese Teetz nachgezeichnet, der ersten Frau, die in Deutschland ein Großes Kapitänspatent (1955) erwarb.

Die übrigen Beiträge sind in den Rubriken Seeschiffahrt, Binnenschiffahrt, Marine, Fischerei und Walfang, Polar- und Meeresforschung, Schiff- und Bootsbau und "Aus den Sammlungen des DSM" zusammengefaßt. Erstmals veröffentlicht ein Band der wissenschaftlichen Zeitschrift des DSM, eben der 21., den Text von sieben Referaten. Gehalten wurden sie auf der Tagung der Fachgruppe 5 "Geschichte des Vermessungswesens" des Verbandes Deutscher Vermessungsingenieure e.V. (VDV) am 30. und 31. Mai 1997 in Bremerhaven. Das Motto der Tagung lautete damals: "Die Entwicklung von Navigation, Küsten- und Seevermessung in der Technikgeschichte".

Das "Deutsche Schiffahrtsarchiv", Jahrbuch 1998, enthält selbstverständlich den Jahresbericht des Deutschen Schiffahrtsmuseums. Es ist nicht mehr, wie in den Jahren vor Band 20, broschiert, sondern gebunden, hat 468 Seiten Umfang und ist großzügig bebildert. Für 46 DM (im Abonnement 38 DM) ist das neue Buch ab sofort im DSM und im Buchhandel erhältlich.

Hinweis: Die Veröffentlichung des Info-Service ist kostenfrei. Wir bitten jedoch bei Druckmedien um Übersendung eines Belegexemplars.


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