Deutsches Schiffahrtsmuseum

Presse-Info-Service

Info Nr. 14/99 vom 17.09.1999

16 bärtige Männer fanden Platz auf einem Zahn

Rätselraten um eine Schnitzerei aus dem 16. Jahrhundert - Deutsches Schiffahrtsmuseum erwarb ein in der Welt einmaliges Kunstwerk zur Geschichte des Walfanges -

Noch wird sie streng unter Verschluß gehalten, aber wenn das Erweiterungsgebäude im kommenden Frühjahr für die Besucher geöffnet wird, kann das Deutsche Schiffahrtsmuseum (DSM) in Bremerhaven eine Kostbarkeit vorzeigen, die weltweit einmalig ist. Dr. Uwe Schnall erachtet die Neuerwerbung aus historischer Sicht sogar für so bedeutungsvoll, daß er eigens für sie von Museumsdesigner Erhard Christiani eine maßgeschneiderte Vitrine entwerfen ließ. Für die wissenschaftliche Bewertung fand er Rückendeckung bei einem ausgewiesenen und dazu dem DSM seit Jahren eng verbundenen Experten, der gleich in zweifacher Hinsicht für die Aufgabe qualifiziert ist: Klaus Barthelmess in Köln hatte einige Semester Zahnmedizin studiert, bevor er sich der Geschichte des internationalen Walfanges zuwandte. Kenntnisse in beiden so unterschiedlichen Disziplinen, angereichert mit kunsthistorischem Wissen, waren hoch willkommen, ging es doch um eine ungewöhnliche Schnitzerei aus Pottwalzahn. Ein englischer oder niederländischer Künstler hatte die Pretiose gegen Ende des 16. Jahrhunderts geschaffen.

Die Datierung bereitete allein schon deswegen kaum Kopfzerbrechen, weil 16 bärtige, patrizisch gekleidete Männer dargestellt sind, deren Kragenform und Haartracht eindeutig auf diese Zeit hinweisen. Die vornehmen Bartträger sitzen in Gruppen zu je acht seitlich vor einem in die Hintergrundfläche eingetieften Schwurbildnis, der Gestalt des Zeugnis ablegenden Christus, der die rechte Hand erhoben hat und die linke vor den Bauch hält. Gekrönt wird die Szene von einem mondförmigen, geflügelten Puttenkopf, mittig, wie Barthelmess in der Sprache des Zahnmediziners anmerkt, in einer amorphen Struktur, die aus lateral-radikaler Zahnsubstanz herausgeschnitzt wurde. Nahe der hinteren Zahnwand befindet sich das eingetiefte Schwurbildnis.

Eine Gravur auf der Rückseite des Pottwalzahnes, bestehend aus einer Tiara, einem "F" und der römischen Zahl MCCCXXXIV (1334), gibt noch Rätsel auf, die bislang ungelöst sind. Vielleicht, mutmaßt Kollege Barthelmess, könnte es sich bei 1334 um die Jahreszahl handeln, vielleicht bei der Tiara um die dreifache päpstliche Krone, vielleicht könnte das "F" für die Beinamen Fournier oder Foraerius stehen, die Papst Benedikt XII. führte. Eine solche Spekulation wäre nicht einmal von der Hand zu weisen, denn die Wahl dieses Papstes fand justament im Jahre 1334 statt.

Klaus Barthelmess hat diese Fährte aufgenommen und ist darauf gestoßen, daß - er nennt dies nur eine von mehreren Möglichkeiten - die Fischergilde im flämischen Wenduine 1340 und damit zur Amtszeit Benedikt XII., der bis 1340 auf dem Heiligen Stuhl saß, das Privileg erhalten hatte, "wie von alters her mit der 'tarpoen' auf Meerschweinfang" zu gehen. Aus diesen Fakten lasse sich folgern, daß der unbekannte Künstler in den 16 bärtigen Gestalten auf dem Pottwalzahn die Mitglieder einer Gilde dargestellt haben könnte.

Eine Gilde von Reedern, die ihre Schiffe auf Walfang ausschickten, kann es jedoch nicht gewesen sein, weil die lukrative Jagd erst im 17. Jahrhundert einsetzte und dann auch zunächst den speckreichen Bartenwalen in der Arktis galt. Wie der Künstler in den Besitz des Pottwalzahns gekommen sein dürfte, läßt sich dennoch leicht erklären: Alle paar Jahre verendeten an den Nordseestränden Pottwale, die sich verirrt hatten.

Die Schnitzerei, zu der es aus dieser Zeit, soweit in der Wissenschaft bekannt ist, kein Gegenstück gibt, hat das Deutsche Schiffahrtsmuseum übrigens aus englischem Privatbesitz erwerben können. Sie wird neben dem 3,5 Tonnen schweren Pottwalskelett, das bereits unter der Hallendecke hängt, ein weiteres Glanzstück im neuen Ausstellungsbereich "Geschichte des Walfanges" bilden.

Hinweis: Die Veröffentlichung des Info-Service ist kostenfrei. Wir bitten jedoch bei Druckmedien um Übersendung eines Belegexemplars.


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