Deutsches Schiffahrtsmuseum

Presse-Info-Service

Info Nr. 21/99 vom 04.11.1999

Knüppelharte Arbeit und Entbehrungen ließen Lust auf weitere Abenteuer gründlich vergehen

"Ausgebüxt": Das Bordtagebuch des Schiffsjungen und späteren Tiermediziners Franz von Wahlde nun in zweiter Auflage erschienen

Die erste Auflage war im Handumdrehen vergriffen. Dennoch dauerte es zehn Jahre, bis das Deutsche Schiffahrtsmuseum (DSM) in Bremerhaven Gelegenheit fand, die liebevoll und akribisch überarbeitete zweite Auflage des Bandes "Ausgebüxt" von Franz von Wahlde herauszubringen. Der Untertitel "Bordtagebuch eines Schiffsjungen 1884 - 1886" deutet an, was den Leser erwartet - eine ebenso vergnügliche wie spannende Lektüre, ein ungewöhnliches Zeitdokument, das Aufschluß vermittelt über das gar nicht vergnügliche, im Gegenteil entbehrungsreiche, von härtester Arbeit geprägte Leben an Bord eines Frachtseglers vor über hundert Jahren.

Es begann an einem Frühsommertag des Jahres 1884. Der 16jährige Gymnasiast Franz von Wahlde, Sohn eines praktizierenden Tierarztes, schlenderte auf dem Heimweg von der Schule am Weserufer in Elsfleth entlang. In einer plötzlichen Eingebung warf er seine Büchertasche in hohem Bogen in den Fluß und machte sich auf den Weg nach Bremerhaven, um seinen Traum von abenteuerlichen Seefahrten um die Welt zu verwirklichen. Als blinder Passagier schlug er sich von Bremerhaven nach Liverpool durch, nahm offenbar von England aus Verbindung mit der Familie auf, die ihm Wäsche und Zeug nachschickte. So ausgerüstet, musterte er als Schiffsjunge auf der in Elsfleth beheimateten Bark "Pallas" an. Womöglich haben sogar dabei die Eltern die Hand im Spiel gehabt: "Pallas"-Kapitän J. Stege kam ebenfalls aus Elsfleth und war ihnen persönlich bekannt. Was aber nicht zur Folge hatte, daß der neue Schiffsjunge an Bord bevorzugt behandelt worden wäre.

Das Tagebuch, das Adele von Wahlde, Tochter des Verfassers, vor einigen Jahren dem Deutschen Schiffahrtsmuseum überlassen hatte, setzt ein am 20. Juli 1884, dem Tag der Ausreise. Die Schilderung der letzten Etappe seiner nahezu zweijährigen Seereise, der ersten und der letzten übrigens, schrieb Franz von Wahlde folgerichtig unter dem Datum 10. Februar 1886 nieder, als die "Pallas" London erreichte. Was dem in seiner Art einmaligen Dokument "für uns seinen überragenden Quellenwert" verleiht, wie Herausgeber Dr. Uwe Schnall im Vorwort schreibt, sind die genauen Schilderungen des Alltagslebens, die sich von der romantischen Verklärung, wie sie in zahlreichen neuen Büchern über die Segelschiffahrt vorherrscht, deutlich abhebt. Schnall: "Hier schreibt ein aufgeweckter, durchaus nicht unkritischer Jugendlicher direkt nieder, was er an Bord tut, erlebt, erleidet."

Nach der langen Seefahrt, die ihn nach Südamerika, Mauritius, Indien und Java führte, war dem Schiffsjungen aus Elsfleth jegliche Lust auf weitere Abenteuer gründlich ausgetrieben. Seine Familie nahm ihn gnädig wieder auf, er beendete das Gymnasium, studierte in Hannover Veterinärmedizin, schloß sein Studium mit Auszeichnung ab und wirkte schon von 1898 bis 1900 - "mit der Wahrung der Geschäfte des beamteten Tierarztes beauftragt" - für das Amt Wildeshausen. Später wurde er zum Veterinärrat ernannt und war zuletzt als Amtstierarzt in Jever für den Bezirk der Stadt und des Amtes Varel sowie der Stadt Rüstringen tätig. Er - der selbst, wie einige Zeichnungen aus der Fahrenszeit belegen, ein hochbegabter Zeichner war, - entwickelte eine starke Neigung zu Musik und Theater. Im Umschlag des erhalten gebliebenen Zeichenheftes hat er säuberlich alle Theaterabende notiert: 32 Opern (einige mehrfach, den "Fliegenden Holländer" erlebte er sogar viermal), 14 Trauerspiele, 18 Schauspiele, 14 Lustspiele, 17 Possen und neun Operetten.

Hermann Franz von Wahlde starb am 4. Mai 1923, nicht einmal 55 Jahre alt.

Das mit von Wahldes eigenen Zeichnungen und zeitgenössischen Illustrationen versehene Buch "Ausgebüxt. Bordtagebuch eines Schiffsjungen 1884 - 1886" ist im Verlag "Die Hanse", Hamburg, erschienen, hat 292 Seiten Umfang und ist zum Preis von 38,-- DM beim Deutschen Schiffahrtsmuseum und im Buchhandel erhältlich.

Hinweis: Die Veröffentlichung des Info-Service ist kostenfrei. Wir bitten jedoch bei Druckmedien um Übersendung eines Belegexemplars.


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