Gezeiten

Der Wasserstand

Neben der horizontalen muß auch die vertikale Komponente der Gezeiten kontinuierlich und über lange Zeit gemessen werden, will man zu verläßlichen Vorausberechnungen kommen. Das hierzu verwendete Gerät, der Pegel, war in seiner einfachsten Art, dem Lattenpegel, schon im antiken Ägypten bekannt. Auch in der Frühen Neuzeit lassen sich diverse Beispiele von Lattenpegeln und sogar bereits systematische Wasserstandsmessungen finden. Besonders die 1660 gegründete Royal Society of London trat in dieser Hinsicht hervor. Hier herrschte geradezu eine Art Aufbruchstimmung zur wissenschaftlichen Erforschung des Meeres und seiner Phänomene. In lebhaftem Austausch wurden Gezeitenbeobachtung von allen Küsten des zu der Zeit in der internationalen Schiffahrt dominierenden Landes vorgestellt und diskutiert, Vorschläge für mechanische Pegel unterbreitet und die gemessenen Werte analysiert, gut dokumentiert in den in einigen großen Bibliotheken vorhandenen Philosophical Transactions of the Royal Society of London aus der Zeit.

Doch auch auf dem Kontinent gab es ähnliche Interessen. Athanasius Kircher stellte zum Beispiel 1665 ein horologium aestus marini vor, einen Schwimmerpegel, der in seinem Aufbau bereits an die Geräte des 19. und 20. Jahrhunderts erinnert: Ein Schwimmer an einem Draht steuert einen Zeiger auf einem Zifferblatt, das die Wasserhöhe anzeigt. Der Vorteil dieser Konstruktion gegenüber einem einfachen Lattenpegel besteht in der leichteren Ablesung und Dämpfung der Bewegungen der Wasseroberfläche.

Eine kalibrierte Latte, wie sie in der heutigen Form des Schiffahrtspegels in der Ausstellung hinter dem Funktionsmodell zum mittleren Springtidenhub Wilhelmshavens montiert ist, oder ein einfaches Zifferblatt haben den Nachteil, in kurzen, regelmäßigen Abständen abgelesen werden zu müssen. Deshalb sann man schon früh über Formen der Registrierung nach. Im frühen 18. Jahrhundert konstruierte Albert Brahms zum Beispiel einen Tassenpegel: eine Reihe von senkrecht übereinander angeordneten Tassen, die bei steigendem Wasserstand volliefen und damit auch nach dem Hochwasser noch dessen Höhe anzeigten.

Hydraulisches Modell der Elbe bei der Bundesanstalt für Wasserbau, Außenstelle Küste in Hamburg-Rissen.

Trotz zahlreicher anderer Konstruktionsversuche - u.a. mit pneumatischen Geräten - setzte sich jedoch letztlich der mechanische Schwimmerpegel durch. Sein Schwimmer folgte in einem vor Wellenbewegungen geschützten Rohr den Tidenbewegungen und übertrug seine Bewegungen durch einen Draht auf eine mit einer Rolle versehene horizontale Achse. Deren Drehung wurde wiederum per Draht und Rolle in maßstäblicher Übersetzung (in Deutschland in der Regel 1:15) auf einen Stift übertragen, der auf einer in 24 Stunden einmal umlaufenden Schreibtrommel eine Linie zeichnete. Da die Tiden sich täglich im Durchschnitt um 50 Minuten verspäten, konnte der auf die Schreibtrommel aufgespannte Papierbogen eine ganze Woche verwendet werden. Beim Auflegen des neuen Pegelbogens wurde auch das Federwerk für den Schreibtrommelantrieb neu aufgezogen.

Derartige Geräte arbeiteten mit großer Zuverlässigkeit und lieferten über viele Jahrzehnte den Datenbestand, auf den die heutigen Gezeitentafeln des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie ihre Zuverlässigkeit gründen. Pegel tun jedoch oft auch vor der Küste als Außenpegel oder in Leuchttürmen und anderen festen Seezeichen ihren Dienst, so daß der für eine kontinuierliche Aufzeichnung der Wasserstände nötige Wechsel der Pegelbogen bei jedem Wetter mitunter mit großen Schwierigkeiten verbunden war. Eine Fernübertragung der Pegeldaten an Land und direkt in die Büros der Gewässerkundler war deshalb überaus wünschenswert.

Erst im Jahr 1999 konnte in dieser Hinsicht Vollzug gemeldet werden: Nun waren alle Pegel an den deutschen Gezeitenküsten an die Wasserstandsdaten-Fernübertragung (WDFÜ) angeschlossen. Statt mit Schreibtrommeln und Pegelbogen wurden die Bewegungen der nach wie vor mechanischen Schwimmer nun flächenübergreifend mit Winkelkodierern digitalisiert und mit speziellen Sendern zur Pegeldatenzentrale übermittelt. Dort werden die Signale bearbeitet und wiederum für spezielle Verwendungen ausgesendet, zum Beispiel für Vermessungsfahrzeuge, Tonnenleger, Bagger, Hafenlotsen – und das Deutsche Schiffahrtsmuseum. Der in der Ausstellung gezeigte „Sekundärempfänger“ zeigt auf seinem Display unmittelbar den auf Seekartennull (SKN) bezogenen aktuellen

Mechanischer Schwimmer-Schreibpegel, Modell 1129 P, erste Hälfte des 20. Jahrhunderts. Der Pegel arbeitete viele Jahrzehnte auf dem Leuchtturm Roter Sand in der Außenweser.

Wasserstand der Pegelorte Alte Weser, Dwarsgat und Bremerhaven. Der vor dem Gerät stehende Bildschirm zeigt die Pegelstände der letzten 12 Stunden an den sechs Pegelorten Alte Weser, Dwarsgat, Robbensüdsteert, Bremerhaven, Nordenham, Rechtenfleth. Waagerechte Linien zeigen die mittleren Werte (MThw = mittleres Tidenhochwasser, MTnw = mittleres Tidenniedrigwasser) an den Orten Alte Weser und in Bremerhaven, so daß man recht gut erkennt, ob Spring-, Mitt- oder Nippzeit herrscht. An der Verschiebung der Scheitelpunkte der einzelnen Kurven ist gut zu sehen, wie die Gezeitenwelle in die Weser hereinläuft und durch die trichterförmige Mündung des Flusses immer steiler wird. Ebenso zeigt die Anzeige die für Flüsse typische Erscheinung der zunehmend verkürzten Steigdauer gegenüber einer zunehmend verlängerten Falldauer. Sie hängt mit der Bodenreibung des Flußbettes zusammen, die die unteren Schichten der Gezeitenwelle langsamer laufen läßt als die oberen, so daß diese sie tendenziell einholen.

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Empfänger und PC-Bildschirm-Aufbereitung der Daten der Wasserstandsdaten-Fernübertragung (WDFÜ) von 1999. Die Werte der sechs Pegelstationen der Außen- und Unterweser sind in der Ausstellung in Echtzeit wiedergegeben.