Deutsches Schiffahrtsmuseum

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Regional-Info Nr. 22/00 vom 25.09.2000

Am Anfang "Völkerfreundschaft", am Ende "Raketen-Siggi"

Vier Schiffsmodelle bilden den Grundstock der DDR-Handelsflotte im Deutschen Schiffahrtsmuseum - Ex-"Stockholm" als Dauerleihgabe

Mit der deutschen Wiedervereinigung vor zehn Jahren begann auch für das Deutsche Schiffahrtsmuseum (DSM) gleichsam ein neues Zeitalter: Weil die Satzung nun einmal bestimmt, daß die deutsche Schiffahrtsgeschichte in ihrer Gesamtheit in historischen Beständen zu sammeln, anschaulich zu machen und zu erforschen sei, fiel von einem Tag auf den anderen die Historie der DDR-Schiffahrt in die Zuständigkeit des nationalen Museums in Bremerhaven. Diesem Auftrag ist das DSM im Rahmen seiner finanziellen Möglichkeiten gerecht geworden. Daran half jedoch der Zufall kräftig mit: Dr. Lars Ulrich Scholl, Leiter der Abteilung "Schiffahrt im Industriezeitalter", fand Kontakt zu Nadine Stahr im Brandenburgischen Treuenbritzen, die dem DSM das von ihrem Großvater Erwin Stahr im Maßstab 1:100 gebaute Modell des Passagiermotorschiffes "Völkerfreundschaft" (Ex-"Stockholm") als Dauerleihgabe überließ. Das war der Einstieg.

Noch als "Stockholm" und unter schwedischer Flagge war das am 9. September 1946 auf den Götaverken vom Stapel gelaufene Passagierschiff (nach einem Umbau 1952 mit 12.644 BRT vermessen) in einen tragischen Unfall verwickelt gewesen: Am 25. Juli 1956 kollidierte es 100 Seemeilen vor New York mit dem italienischen Luxusliner "Andrea Doria" (29.083 BRT). Das italienische Schiff sank und riß 47 Menschen mit in den Tod. Auf der schwer beschädigten "Stockholm", die mit eigener Kraft New York erreichte, waren fünf Todesopfer zu beklagen.

Die Reederei Svenska Amerika Linjen ließ den Havaristen bei Bethlehem Steel Co. in New York grundreparieren, verkaufte das Motorschiff Anfang 1960 jedoch für 1,38 Millionen Dollar. In der notorisch devisenschwachen DDR wurde der Kauf von der sogenannten Steckenpferd-Bewegung finanziert und das Schiff an den Freien Deutschen Gewerkschaftsbund weitergegeben, der seinen Werktätigen komfortable Urlaubsreisen anzubieten versprach. Ausgehend von der Initiative des Kosmetikbetriebes VEB Steckenpferd in Dresden wurden aus zusätzlichen Exporterlösen von rund 2000 Betrieben insgesamt 9 gebrauchte Schiffe im Ausland gekauft. Nach dem Mauerbau am 13. August 1961 wurde die Angelegenheit prekär. Fortan durften weder die Passagiere noch die Besatzungsmitglieder das Staatsgebiet der DDR, also das Schiff in den Häfen des nicht-sozialistischen Auslandes verlassen. Von ihrer letzten Reise unter der DDR-Flagge kehrte die "Völkerfreundschaft" am 31. Januar 1985 von Westindien nach Rostock zurück.

Nach einem Verkauf im gleichen Jahr an eine panamesische Reederei wechselte das Schiff mehrfach seine Eigner und diente u. a. zweieinhalb Jahre unter dem Namen "Volker" als Wohnschiff für Asylbewerber in Oslo. Seit dem 1990 begonnenen, jahrelang unterbrochenen und erst im Herbst 1994 vollendeten Totalumbau in Genua kreuzt es, als wahrer "Phönix aus der Asche" gestiegen, als "Italia Prima" in Charter der NUR-Touristik im Mittelmeer. Im Herbst 1998 charterte die Münchener FTI-Gruppe das in "Valtur Prima" umbenannte Schiff für wöchentliche Fahrten von Havanna aus zu einigen der schönsten Inseln in der Karibik.

Die "Völkerfreundschaft" ist nur eines der insgesamt vier Modelle von ehemaligen DDR-Schiffen in der Schausammlung, jedoch die einzige Dauerleihgabe: die anderen drei gab das DSM selbst in Auftrag. Genau genommen sogar vier: In seinem Besitz befindet sich auch das erste seegängige Schiff der im Aufbau befindlichen DDR-Handelsflotte überhaupt. Es trägt allerdings noch den Namen "Grete Cords" (873 BRT), als die es 1903 für die Rostocker Reederei August Cords in Dienst gestellt worden war. Die "Grete Cords" lag nach Ende des Zweiten Weltkrieges in der Wismarer Bucht auf einem Schiffsfriedhof, wurde auf der Staatswerft in Stralsund in mühevoller Arbeit bis Ende 1950 entrostet, renoviert und war noch 31 Jahre als "Vorwärts" und erstes Flaggschiff in der Trampschiffahrt beschäftigt.

Daß die Werften in der DDR trotz ungeheurer Schwierigkeiten insbesondere durch Materialmangel und unzureichende Zulieferungen Hervorragendes zu leisten vermochten, dafür sind die sogenannten Typ-IV-Schiffe ein Beispiel. Sie wurden als Volldecker mit einer Tragfähigkeit von 13.000 tdw für die Ostasienfahrt entwickelt. Das DSM entschied sich für ein Modell der "Dresden": Das Schiff, das ursprünglich eine schwedische Reederei bei der Warnowwerft in Warnemünde bestellt hatte und am 4. Juli 1957 sogar noch auf den Namen "Frieden" taufen ließ, legte von 1958 bis Ende 1969 unter der Schornsteinmarke der VEB Deutsche Seereederei Rostock 475.057 Seemeilen zurück. Danach diente sie bis zum heutigen Tage und wohl noch in weiterer Zukunft unter dem Namen "Traditionsschiff Typ Frieden" als schwimmendes Schiffbaumuseum in Rostock.

Obwohl die Warnowwerft dafür anfangs eigentlich gar nicht ausgerüstet war, schafften es die Konstrukteure und Schiffbauer, eine Serie von 15 Typ-IV-Schiffen herzustellen. Gleichzeitig verwirklichten sie noch bautechnologische Weiterentwicklungen. So waren alle Schiffe vollständig geschweißt und entstanden - damals eine kleine Revolution in der Schiffbaukunst - in Sektionsbauweise. Alle Seeleute, die auf ihnen fuhren, schwärmen noch heute von der gelungenen Schiffsarchitektur, der sehr hohen Stabilität und der geradezu fabelhaften Seetüchtigkeit selbst bei schwerstem Wetter. Lediglich die Maschinenanlage brachte nicht die angepeilte Leistung von jeweils 2400 PS. Die beiden Halberstädter Diesel, die eine aus Materialmangel geborene Notlösung darstellten, kamen gerade einmal auf 1600 bis 1800 PS. Eigentlich sollten die Typ-IV-Schiffe Exportschlager werden und Devisen bringen. Dagegen erhob sich bei der Deutschen Seereederei vernehmliches Murren. Es wurden daher nur drei Schiffe exportiert, zwei nach China, eines nach Kuba und alle drei somit in sozialistische Bruderländer.

Weniger Erfolg hatten die Konstrukteure und vor allem die Maschinenbauer (die Antriebsanlage erwies sich als zu kompliziert) mit ihrem ersten auf einer DDR-Werft, bei der VEB-Mathias-Thesen-Werft in Stralsund, gebauten und im April 1961 fertig gestellten Passagiermotorschiff. Es war ebenfalls vom Freien Deutschen Gewerkschaftsbund in Auftrag gegeben worden und trug folgerichtig den Namen eines Gewerkschaftsführers. Die "Fritz Heckert" (8120 BRT) ist nun als Modell im DSM zu betrachten. Das Schiff entpuppte sich auf See zum Schrecken der Urlauber als reinstes "Schaukelpferd" und war so stark luvgierig, daß sie schon bei Windstärken um 7 mit dem Ruder allein nicht auf Kurs zu halten war. Die Gasturbine brachte sie nur für eineinhalb Reisen auf die projektierte Geschwindigkeit von 19 Knoten. Bis zur Außerdienststellung schon 1970 wurde sie fast nur spazierengefahren.

Mit dem Typ "Neptun 421" dagegen, im DSM vertreten durch das Modell der "Fliegerkosmonaut der DDR Sigmund Jähn", landete die VEB Schiffswerft "Neptun" Rostock Ende 1977 nicht nur einen technologischen Volltreffer, sondern brachte zugleich auch einen Exportschlager auf den Weltmarkt. Zehn Schiffe dieser Serie fanden ausländische Abnehmer, davon je fünf in Panama und Norwegen. Nur die letzten fünf fuhren unter der Schornsteinmarke der Deutfracht Seereederei Rostock. Alle DDR-Bürger waren selbstverständlich stolz auf ihren Fliegerobersten Sigmund Jähn, der sich als erster Deutscher überhaupt im Weltraum aufgehalten hatte. Sie zeigten sich deswegen auch erfreut darüber, daß ein Schiff den Namen des Kosmonauten trug. Als aber agitationsversessene Funktionäre ernsthaft in Gespräch brachten, man möge dem vielzu langen Namen noch das Wort "Erster" voransetzen, parierten die Seeleute ironisch mit dem Gegenvorschlag, das Schiff dann am besten gleich um 20 Meter zu verlängern. Der Volksmund befand ohnehin, daß die Würze in der Kürze liege, und nannte den Frachter liebevoll "Raketen-Siggi".

Nach der Wende wurde das Schiff in "Sigmund Jähn" umbenannt und fuhr bis 1995 unter deutscher Flagge. Gegenwärtig ist die Soeunion Maritime Co. Ltd. in Monrovia der Eigner der "Loretta D".

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