Deutsches Schiffahrtsmuseum

Regional-Presse-Info

Regionalinfo 19/98 vom 08.12.1998

Der Giftmord an seinem Stellvertreter vertrieb deutschen Korporal von der Insel Leti

Reisebericht des Thüringers Ernst Christoph Barchewitz aus der Zeit des Massenexodus von Deutschen nach Holland und in die Südsee nun im Besitz des Deutschen Schiffahrtsmuseums - Kuratorium ermöglichte Ankauf

Das Phänomen fand im 17. und 18. Jahrhundert statt: Aus allen Regionen Deutschlands brachen Hunderttausende auf, um ihr Glück in maritimen Unternehmungen der Niederlande zu suchen, viele beim lukrativen Walfang, die meisten aber im Dienste der Vereinigten Ostindischen Kompanie (VOC) in der Südsee. Einer war der Gerber Ernst Christoph Barchewitz aus Sömmerda bei Erfurt in Thüringen. Er schrieb nach der Rückkehr in die Heimat seine Erlebnisse und Erfahrungen sorgsam auf. Seine Reisebeschreibung erschien einem Chemnitzer Verleger so lesbar und lehrreich, daß er sie 1730 in Buchform auf den Markt brachte. Im Jahr 1751 griff der Erfurter Verleger Joh. David Jungnicol den Stoff für eine zweite Auflage auf, erweiterte ihn durch zahlreiche ausklappbare Stiche, eine Karte und überlieferte der Nachwelt ein Buch von 680 Seiten Umfang, das für die heutige Geschichtsforschung von hohem Wert ist. Es war ein Glücksfall, daß es dem Deutschen Schiffahrtsmuseum (DSM) in Bremerhaven kürzlich gelang, eines der wenigen noch erhaltenen Exemplare der zweiten Auflage in seinen Besitz zu bringen.

Dr. Albrecht Sauer, zuständig für den Forschungs- und Ausstellungsbereich Schiffahrtsgeschichte der Frühen Neuzeit, ging bislang davon aus, daß diese Quelle wohl auf Dauer versiegt bleiben würde. Er wußte lediglich von der Existenz zweier Bände einer dritten Auflage in bayerischen Bibliotheken. Umso mehr mußte ihn die Nachricht vom März dieses Jahres elektrisieren, daß im Antiquariat A. Asher & Co. in Ijmuiden ein ausgezeichnet erhaltenes Exemplar des Barchewitz-Buches aufgetaucht war. Er handelte einen günstigen Preis aus und erwarb den Band, obwohl er wußte, daß dies den Bibliotheksetat in seinen Möglichkeiten eigentlich bei weitem überstieg, wenn die regulären Aufgaben nicht beeinträchtigt werden sollten. So wandte er sich an das Kuratorium zur Förderung des Deutschen Schiffahrtsmuseums, das sich nicht zweimal bitten ließ und die vollen Kosten übernahm.

Ernst Christoph Barchewitz war 1711 als Söldner in den Dienst der VOC eingetreten und hatte elf Jahre in Indonesien verbracht. Offenbar besaß er Führungsqualitäten, denn er wurde zum Korporal befördert und später von Batavia zur kleinen Insel Leti versetzt, die er quasi als Gouverneur verwaltete. Als er Schwierigkeiten mit dem auf der Insel herrschenden Radscha bekam und als sein Stellvertreter einen geheimnisvollen Gifttod starb, kannte er nur noch ein Ziel: Zurück nach Europa. Barchewitz quittierte den Dienst bei der VOC und kehrte heim nach Erfurt.

In seinem Bericht unterscheidet Barchewitz drei Klassen von Reisenden; "Einige treibt die Desperation, und weil sie es in ihrem Vaterlande entweder verderbet, oder nichts tüchtiges gelernet, damit sie sich in ehrlicher Weise ernähren könten, oder doch sonst zu Hause niemand etwas nütz sind, in die Fremde.

Andere reisen, um durch Besichtigung etwas rechtschaffenes zu begreiffen und zu lernen, dadurch ihren Academischen Studien die Krone aufzusetzen, und sich dem Staat recht applicable zu machen.

Die dritte (zu dieser Klasse zählte sich der Autor) suchet das weiteste aus purer Curiosität, durchs wandern ihre Neugierigkeit zu vergnügen, und bey Besichtigung fremder Länder ihre zur Veränderungen geneigte Gemüther zu sättigen...." Ostindien bezeichnet er als "die veritable Europäische Schatzkammer, daran Engel- und Holland, Portugall und Dännemarck" ihre meisten Reichthümer holen..."

Der deutsche Massenexodus zu den niederländischen Hafenstädten und auf die sogenannten Retourschiffe nach Ostindien ist seit einigen Jahren eines der vorrangigen Forschungsziele des Deutschen Schiffahrtsmuseums. Wie ernst dieser Auftrag genommen wird, davon zeugen nicht nur Ankäufe, wie der des Barchewitz-Buches, sondern auch die Veröffentlichung von Reise- und Lebensberichten deutscher VOC-Bediensteter, die Peter Kirsch in dem Buch "Die Reise nach Batavia" zusammengefaßt hat, erschienen 1994 in der DSM-Reihe "Menschen und Schiffe". Im Jahr darauf erhielt das Museum aus Familienbesitz eine aufschlußreiche, 1683 in Batavia von der VOC ausgestellte Verabschiedungsurkunde des Deutschen Christoph Multer. Im Jahr darauf erwarb das DSM mit Hilfe des Bundesinnenministeriums und des Technikmuseums U-Boot "Wilhelm Bauer" ein vormals in englischem Privatbesitz befindliches großformatiges Seestück des deutschstämmigen Malers Ludolf Backhuysen von 1682, das eine typische holländische Ausschiffungsszene aus dieser Zeit darstellt. 1997 konnte mit Hilfe der Waldemar Koch-Stiftung, Bremen, aus den Niederlanden ein fünfbändiges Konvolut der berühmten deutschen Sammlung von maritimen Reisebeschreibungen aus der Feder des Nürnberger Bibliothekars und Verlegers Levinus Hulsius aus der Zeit von 1598 bis 1630 nach Bremerhaven geholt werden.

Der Reisebericht von Ernst Christoph Barchewitz ergänzt diese Reihe optimal. Die Neuerwerbung für die Bibliothek will Dr. Sauer nicht nur wissenschaftlich auswerten, sondern demnächst auch ausstellen - zusammen mit anderen Exponaten zum großen Thema "Massenexodus von Deutschen nach Holland und in die Südsee".

Hinweis: Die Veröffentlichung des Info-Service ist kostenfrei. Wir bitten jedoch bei Druckmedien um Übersendung eines Belegexemplars.


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