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Der Einfluß der Sonne: Spring, Mitt- und Nippzeit
Soweit scheint das Phänomen leicht erklärbar. Allerdings, wie so oft in der Natur, wirkt auch bei den Gezeiten nicht nur eine Ursache, sondern es kommen weitere hinzu. Zunächst muß die Sonne genannt werden. Denn das für Erde und Mond Gesagte gilt hier in ähnlicher Weise. Zwar beeinflußt der Umlauf der Erde die Sonne kaum, aber der tägliche Gang der Sonne verursacht auf der Erde eine Gezeitenbewegung, die fast halb so stark ist wie die vom Mond bedingte und sich ihr überlagert; das heißt, sie je nach der Stellung der beiden Himmelskörper zueinander verstärkt oder abschwächt. Wirken Sonne und Mond in derselben Ebene – bei Neu- und Vollmond – treten besonders hohe Gezeiten ein und man spricht von Springzeit, stehen beide im rechten Winkel zueinander, vermindern sich die Bewegungen des Wassers, was als Nippzeit bezeichnet wird. Beide Phasen treten im 14tägigen Wechsel auf, wobei man gängigerweise 4 Tage für die Springzeit, 3 Tage für die dazwischenliegende Mittzeit und 4 Tage für die Nippzeit ansetzt, der sich wiederum 3 Tage Mittzeit anschließen.
Nach dem bisher Gesagten könnte der Eindruck entstehen, die unkompliziert regelmäßigen Phasen im Ablauf der Gezeiten seien relativ einfacher Art und die Gezeiten damit leicht vorherzusagen. Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Mond und Sonne bewegen sich weder genau über dem Erdäquator, wie es das vereinfachende Modell in der Ausstellung zeigt, noch ziehen sie auf immer denselben Pfaden über unseren Himmel. Ihre Bahnen unterliegen verschiedenen periodischen Abweichungen: Die Sonne wandert auf der sog. Ekliptik - Ursache für die unterschiedlichen Jahreszeiten in unseren Breiten –, und der Mond erlaubt sich sogar eine ganze Reihe von Unregelmäßigkeiten: Seine Bahn deckt sich nicht mit der Ekliptik und verlagert sich rasch. Selbst die Knotenlinie, das heißt die Lage der Schnittachse beider Bahnebenen rotiert mit erheblicher Geschwindigkeit. Dazu kommt, daß die Entfernung unseres Trabanten von der Erde und damit seine Anziehungskraft variieren, was die Umdrehungsgeschwindigkeit des gesamten Zwei-Körper-Systems Erde-Mond beeinflußt. Man sieht, die Vorausberechnung der astronomischen gezeitenerzeugenden Kräfte ist keine leichte Aufgabe, sondern erfordert erheblichen mathematischen Aufwand.
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