Auf eigenen Rädern an Bord

Auf eigenen Rädern an Bord –
Der Siegeszug des RoRo-Schiffes

Der nächste Schritt auf dem Wege zum modernen Autotransporter unserer Tage war dann wieder der Übergang zum RoRo-Schiff, wie es bereits in den zwanziger Jahren von Arnold Bernstein erfolgreich eingesetzt worden war. Der Impuls dazu ging zum einen von den enorm gestiegenen Produktions- und Verschiffungszahlen für Autos aus, die nun eine auf längere Sicht kalkulierbare Dimension angenommen hatten. Zum anderen entwickelte sich der Automobilmarkt allmählich zu einem Weltmarkt, in dem Europa, Amerika und Asien ihre Produkte austauschten und die Reeder ihre Schiffe auf Reisen in alle Richtungen mit Kraftfahrzeugladungen auslasten konnten. Zeitgleich mit dem Bau der ersten RoRo-Schiffe für den Neuwagentransport begann sich übrigens auch das RoRo-Fährschiff in Europa durchzusetzen..

Die  1964 für die Küstenschiffahrt gebaute SCHIROKKO gehört zur ersten Generation moderner RoRo-Schiffe für den Autotransport. (Foto: Arnold Kludas)

Bereits 1957 kam in den USA der RoRo-Frachter TMT CARIB QUEEN mit seitlichen Laderampen in Fahrt – das Schiff war aber wohl seiner Zeit voraus, ging nach nur einem Jahr und dem Konkurs seines Eigners in den Besitz der US Army über und geriet in Vergessenheit. Als erster RoRo-Autotransporter moderner Bauart in der Nachkriegszeit gilt daher allgemein die 1963 auf der schwedischen Lödöse Varv fertiggestellte ANIARA. Den gut 75 m langen Frachter hatte die in Stockholm ansässige Reederei O. Wallenius, schon damals eines der führenden Unternehmen im konventionellen Autotransport, für ihren  Dienst zwischen Schweden und Großbritannien geordert. Das Schiff bot bis zu 350 Personenwagen auf fünf Decks Platz und wurde über eine Bugpforte beladen. Vorsichtshalber hatte man die ANIARA  zusätzlich mit Ladegeschirr ausgerüstet, um sie nach dem Ausbau der Wagendecks bei Bedarf auch im normalen Stückgutverkehr einsetzen zu können. Bis 1965 folgten sechs weitere Neubauten der ANIARA-Klasse, die allerdings einigen Modifikationen unterzogen wurden.

Unterdessen war 1964 unter norwegischer Flagge auch der RoRo-Frachter DYVI ANGLIS in Fahrt gekommen. Das etwas größere und mit seitlichen Laderampen ausgerüstete Schiff war bereits für den Überseeverkehr vorgesehen, blieb schließlich aber doch überwiegend in der europäischen Küstenfahrt. In Deutschland wiederum lieferte die Hamburger Werft Blohm & Voss 1964 mit der SCHIROKKO ein RoRo-Küstenmotorschiff ab, das die ortsansässige Reederei Günther Schulz für den Transport von Volkswagen nach Skandinavien hatte bauen lassen. Die SCHIROKKO konnte 340 PKW und auf der Rückreise Massengut laden.
Mit Genugtuung vollzogen die Reeder dieser modernen Schiffe die Erfahrungen Arnold Bernsteins, an den sich inzwischen niemand mehr erinnerte, noch einmal nach: Ihre neuartigen Schiffe erfreuten dank der raschen Be- und Entladung nicht nur durch schnelle Rundreisen, sondern auch durch eine für die damalige Zeit geringe Schadensrate. Nicht einmal mehr eines von hundert Autos trug während der Verschiffung Beulen oder Kratzer davon, obwohl sie nahezu unverpackt ihre Seereise antraten.

Tausende von Autos, dazu Lastwagen, Baumaschinen und Einzelteile, die für Container zu schwer oder zu sperrig sind, aber auf einen fahrbaren Untersatz passen - das alles findet Platz auf den 13 Decks eines modernen  Autotransporters.
(Zeichnung: Reederei Wallenius Wilhelmsen)

Die siebziger Jahre brachten den Durchbruch zum großen RoRo-Autotransporter mit einem Fassungsvermögen von 3000 bis 6000 Personenwagen. Um diese Schiffe, die ausschließlich zum Transport von rollender Ladung zu verwenden sind, von anderen RoRo-Schiffen zu unterscheiden, die gemischte Ladungen vom Auto über Schwergut auf Trailern bis hin zum Container transportieren und deren Geschichte im wesentlichen ebenfalls in den sechziger Jahren begann, wurden die Autotransporter in der Fachsprache nun entweder mit dem Kürzel PCC bezeichnet, das für Pure Car Carrier (deutsch etwa: Reiner Autotransporter) steht oder bei gleichzeitiger Beförderung anderer rollender Ladung, mit dem Kürzel PCTC = Pur Car Truck Carrier (deutsch etwa: Reiner Auto- und Nutzfahrzeugtransporter). Anfang der 80er Jahre waren bereits rund 250 solcher Spezialschiffe weltweit im Einsatz. Ihre Gesamtladekapazität betrug knapp 600 000 Personenwagen. Der Vollständigkeit halber sei hier noch erwähnt, dass es sich bei den Frachtern nicht nur um Neubauten handelte, sondern auch um Umbauten älterer Schiffe verschiedener Typen.

Wesentlich beflügelt hatte den raschen Ausbau der Autotransporterflotte die Expansion der stark auf den Export ausgerichteten japanischen Automobilindustrie, die seit Ende der siebziger Jahre rund eine Million Fahrzeuge jährlich nach Europa und in die Vereinigten Staaten lieferte. Vor allem Reedereien in Norwegen, Schweden und Japan engagierten sich in diesem Schifffahrtszweig und sind bis heute unter den Marktführern zu finden. Wenig mehr als eine Handvoll Unternehmen dominiert gegenwärtig den weltweiten Seetransport von Automobilen. Im Gegensatz etwa zum Containertransport, der alljährlich mit beachtlichen Steigerungsraten aufwartet, stagniert allerdings inzwischen die Zahl der Autotransporte. Trotz des immer größeren Bedarfs an Kraftfahrzeugen hat sich die Zahl der Verschiffungen seit 1987 – damals wurden in einem Jahr 7,4 Millionen Standardeinheiten (ein Fahrzeug = 10 m³) über See transportiert – bis Mitte der neunziger Jahre sogar deutlich verringert. Dies liegt daran, dass die Hersteller zum einen Zweigwerke in den Abnehmerländern eingerichtet haben, zum anderen Autos in einem gewissen Umfang auch in Einzelteilen auf Containerschiffen versenden und erst vor Ort zusammenbauen, da auf diese Weise hohe Einfuhrzölle zu umgehen sind.

Die ersten, ab 1963 in Fahrt gebrachten  Autotransporter waren noch überwiegend mit festeingebauten Decks ausgestattet, die in der Mehrzahl eine Höhe von etwa 1,70 m aufwiesen, also für den Transport von Personenwagen geeignet waren. Später erkannte man aber, dass sich die Investitionen für in der Höhe verstellbare Decks amortisieren würden, da die verschiedenen Fahrtgebiete auch unterschiedliche Anforderungen an die Zusammensetzung der Ladung aus Personenwagen, Lastkraftwagen und Bau- oder Erntemaschinen sowie Militärfahrzeugen stellten und größere Flexibilität verlangten.

Als wegweisend gilt hier der Bau der MADAME BUTTERFLY für die schwedische Reederei O. Wallenius im Jahre 1981 (siehe Foto im Umschlag vorn). Auf seinen insgesamt 13 Decks fasste das Schiff bei durchgängig gleichen Höhen maximal 6200 Personenwagen. Durch eine hydraulische Absenkung oder Anhebung verschiedener Decks wurde es aber auch möglich, beispielsweise 2900 Personenwagen und 520 Schwerlastwagen von bis zu 30 t Gewicht und einer Höhe von 6,20 m zu befördern.

Mit der MADAME BUTTERFLY war ein technischer Standard erreicht, der hinsichtlich Größe und Flexibilität bis heute Bestand hat, wenngleich sich natürlich in Teilen der Ausrüstung, zum Beispiel im nautischen Bereich, inzwischen Weiterentwicklungen ergeben haben. Dass die Autotransporter nicht noch größer wurden, liegt daran, dass die Passage des Panama-Kanals mit seiner maximalen Durchfahrtsbreite von 32,31 m möglich bleiben soll, um die Schiffe ohne große Umwege im „Round-the-world-Verkehr“ einsetzen zu können.

Neben skandinavischen sind vor allem auch asiatische “Carrier” im weltweiten Automobiltransport engagiert. Hier wird ein Schiff der japanischen Reederei Nippon Yusen Kaisha (NYK) - einer der wichtigsten Kunden an der Weser - im Nordhafen abgefertigt. (Foto: Alfred Rostek)

Die meisten Autotransporter werden nicht über Bugpforten, sondern Öffnungen in der Seite oder am Heck des Schiffes be- und entladen. Oft ist auch nur eine einzige, dafür aber besonders breite und tragfähige Rampe am Heck vorhanden, welche über eine Länge von 30 bis 40 m vom Schiff auf den Kai führt. Der Anstellwinkel der Rampen soll nicht mehr als 12 Grad betragen, damit die Autos keine Schäden am Unterboden oder an Spoilern davontragen. Je nach Bauweise sind Achslasten von bis zu über 50 t zugelassen, was besonders für die Verladung schwerer Baumaschinen, Kräne oder militärischer Fahrzeuge von Bedeutung ist. Die Rampen sind zumeist elektrohydraulisch ein- und auszufahren und müssen selbstverständlich wasserdicht zu verschließen sein.

Der umfangreiche Autoverkehr innerhalb der Schiffe beim Be- und Entladen – von der Fahrt zwischen der Laderampe und den Stellplätzen bis hin zu den Ein- und Ausparkmanövern auf den Decks – setzt eine beachtliche Menge Abgase frei, die unverzüglich ins Freie geleitet werden muss, um gesundheitliche Schäden für die Hafenarbeiter und Schiffsbesatzung zu vermeiden. Daher wird in die Autotransporter eine Vielzahl von elektrisch betriebenen Lüftern eingebaut, die gewöhnlich einen etwa 30fachen Luftwechsel pro Stunde auf den Ladedecks ermöglichen. Die Energie für die Lüfteranlagen liefern im Hafen, wenn Hauptmaschine und Wellengenerator abgeschaltet sind, Dieselgeneratoren mit Leistungen von oft mehreren tausend kW. Diese Hilfsmaschinen speisen auch die Ballastpumpen, mit denen – je nach Beladungszustand des Schiffes – die Ballasttanks geflutet oder gelenzt werden. Außerdem versorgen die Generatoren natürlich alle anderen Verbraucher elektrischer Energie an Bord, wie zum Beispiel die umfangreichen Beleuchtungs- und Klimatisierungsanlagen.

Wer heute in Bremerhaven die Autos von und an Bord der Schiffe rollen sieht, wird bemerken, dass man doch wieder dazu übergegangen ist, die Fahrzeuge an besonders exponierten Stellen – wie Stoßfängern, Radkappen, Rückspiegeln oder Stoffdächern für Cabriolets – durch aufgebrachte Haftfolien oder andere Verpackungen zu schützen. Man will auf diese Weise auch kleinsten Beschädigungen vorbeugen. Die meisten Autos werden für die Dauer des Transportes zudem mit einer Wachs- oder Polymerschicht versehen. Einzelne Hersteller, zum Beispiel BMW, überziehen bei einigen Wagentypen auch das gesamte Fahrzeug mit einer Kunststofffolie, die lediglich an der Fahrertür und der Tankklappe durch Reißverschlüsse zu öffnen ist. Auf diese Weise ist ein effektiver Schutz vor Staub, Sandsturm und anderen Witterungseinflüssen, Farbnebeln in der Nähe von Werftbetrieben oder auch dem Funkenflug vom Stromabnehmer der Elektrolokomotiven beim Bahntransport gewährleistet.   .

Rundum-Verpackungen für Neufahrzeuge sind mit Reißverschlüssen versehen, um die Fahrertür und die Tankklappe öffnen zu können.
(Foto: Alfred Rostek)

Während Deutschland auf der einen Seite zu den führenden Standorten von Automobilfabriken in der Welt zählt und Bremerhaven der am stärksten frequentierte Hafen Europas im PKW-Umschlag ist, bleibt auf der anderen Seite das Engagement deutscher Werften und Reeder in diesem Schifffahrtssegment seit der Einführung der RoRo-Schiffe eher bescheiden.

Die Hamburger Werft Blohm & Voss hatte sich zwar in den 60er Jahren zunächst stark engagiert, gab den Bau von Autotransportern aber in den siebziger Jahren auf. Auch andere Werften, wie die Nordseewerke in Emden, waren nur vorübergehend in diesem Geschäftszweig tätig. Große Autotransporter baute in der jüngeren Zeit lediglich noch die Flender Werft AG in Lübeck mit den 1993 für italienische Rechnung gelieferten Schwesterschiffen SPES und FIDES, die jeweils maximal 2400 Personenwagen auf acht Decks aufnehmen können. Kleinere Autotransporter lieferte die Detlef Hegemann Rolandwerft für Egon H.Harms (s. S. 20 ff.),  der mit seiner Flotte von insgesamt elf RoRo-Frachtern für den Küstenverkehr der bedeutendste deutsche Reeder für diese Spezialschiffe ist. Zwei große Autotransporter für jeweils rund 4000 Wagen setzte bis 1999 die Hamburger Reederei Chr. F. Ahrenkiel ein. Die  HANNOVER und die WOLFSBURG, deren Namen auch gleich den Hersteller der an Bord transportierten Wagen erraten lassen, waren in Shanghai gebaut worden. Im Jahre 2000 übernahm die inzwischen in das Ausland verkaufte Krupp Seeschifffahrt GmbH von der kroatischen Werft Brodogradiliste „Uljanik“ drei Autotransporter unter den Namen DRESDEN, VERONA und MOSEL ACE, über die zuvor ein Chartervertrag mit Volkswagen für fünf Jahre abgeschlossen worden war. Allerdings brachte der Wolfsburger Autokonzern die Schiffe mit einem Fassungsvermögen von 4700 PKW zunächst nicht selbst zum Einsatz, so dass diese weiterverchartert wurde.

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