Carried with care

Carried with care – Autotransporter BOHEME im weltweiten Einsatz

Viele ältere Schiffsliebhaber trauern heute den Dampfern und Motorschiffen nach, deren Silhouetten noch von schnittig geformten Rümpfen, mittschiffs angeordneten Aufbauten, imposanten Schornsteinen und zahlreichen Masten und Bäumen geprägt waren. Keines der genannten Kriterien weisen moderne Autotransporter auf, handelt es sich doch im Grunde um nichts anderes als schwimmende, von Stahlwänden eingefasste Parkhochhäuser, die lediglich an der oben aufgesetzten Brückenfront sowie im Bug- und Heckbereich noch Schiffsformen erkennen lassen.

Bei aller ästhetischen Kritik wird man allerdings zugeben müssen, dass die Dimensionen eines großen Autotransporters beeindruckend sind. Als Beispiel für einen modernen Vertreter dieser Spezialschiffsgattung sei hier die BOHEME der schwedisch-norwegischen Reederei Wallenius Wilhelmsen beschrieben.

Fertig zur Ausreise: Autotransporter BOHEME manövriert mit Hilfe eines Schleppers vom Liegeplatz zur Bremerhavener Nordschleuse. (Foto: Klaus-Peter Kiedel)

Das Unternehmen ist 1999 aus dem Zusammenschluss zweier renommierter skandinavischer Firmen mit langer Tradition hervorgegangen. Wilhelm Wilhelmsen hatte1861 im norwegischen Tönsberg und Olof Wallenius 1934 in Stockholm eine Reederei gegründet. 1955 begann Wallenius, sich mit dem Transport von Autos zu beschäftigen, und setzte 1963 mit der ANIARA den ersten auf den Neuwagentransport spezialisierten RoRo-Frachter der modernen Schifffahrtsgeschichte in Fahrt. Zwei Jahr später beförderte Wallenius als erste nicht-japanische Reederei japanische Autos nach Europa. Etwa zum gleichen Zeitpunkt begann Wilhelm Wilhelmsen RoRo-Schiffe für Ladungsgüter aller Art, die sich nicht zur Verpackung in Containern eignen, zu konzipieren. Nachdem in den neunziger Jahren beide Unternehmen auch in die Logistik des Weitertransportes und durch die Einrichtung eigener PDI-Zentren (vgl. S. 33) in die Endausrüstung der verschifften Autos an Land eingestiegen waren, schlossen sie sich 1999 zum größten „Carrier“ der Welt für Autos und sonstige rollende Ladung zusammen. Zur Flotte gehören zur Zeit rund 70 Schiffe, die unter dem Firmenmotto „Carried with care“ (etwa: „Mit Sorgfalt befördert“)  im weltweiten Einsatz sind.

Im Fusionsjahr 1999 lieferte die koreanische Großwerft Daewoo Heavy Industries vier Schwesterschiffe an Wallenius Wilhelmsen, von denen das Typschiff BOHEME hier vorgestellt werden soll.

Die BOHEME ist mit einem Rauminhalt von 57 018 BRZ vermessen. Zum Vergleich: Die Bruttoraumzahl des größten deutschen Passagierschiffes, der EUROPA, ist nahezu exakt halb so groß. Dabei ist die BOHEME mit 199,10 m nur unwesentlich länger als die EUROPA, allerdings mit 32,26 m um ein gutes Drittel breiter. Und natürlich sorgt die bis zum obersten Ladedeck hallenartige Form des Rumpfes für einen wesentlich größeren Rauminhalt als die der sich in der Höhe elegant verjüngenden Aufbauten des Luxusschiffes. Der maximale Tiefgang der BOHEME liegt bei 11,02 m, ihre Tragfähigkeit bei 22 600 tdw. Die 14 900 kW (rund 20 000 PS) starke Hauptmaschine ermöglicht über einen vierflügeligen Propeller eine Geschwindigkeit von 20 Knoten. Für gute Manövrierleistungen sorgen Bugstrahlruder mit 1500 kW (gut 2000 PS) Leistung.

Eher in einem Parkhaus als an Bord eines Schiffes wähnt man sich beim Blick über eines der Ladedecks.
(Foto: Alfred Rostek)

Die 13 Decks der BOHEME bieten eine Stellfläche von insgesamt 52 437 m², was nahezu zehn Fußballfeldern entspricht. Bezogen auf einen PKW der unteren Mittelklasse, zum Beispiel einen Opel Astra, verfügt das Schiff damit über Parkmöglichkeiten für insgesamt 5882 Autos auf einer Fläche von jeweils gut 8,9 m². Nur etwa 30 cm trennen die Stoßfänger der einzelnen Wagen, der seitliche Abstand liegt sogar bei nur 10 cm. Hintereinander gestellt, würden die auf einem einzigen großen Autotransporter beförderten Wagen eine Schlange von immerhin fast 30 Kilometern bilden.

Die Höhe der Decks beträgt auf der BOHEME zwischen 1,70 m und 2,20 m, die Decks 5, 7 und 9 können in der Höhe verstellt werden, so dass auf den darunter liegenden Decks 4, 6 und 8 statt PKW auch Lastwagen, Maschinen, Militärfahrzeuge, Straßenbahnen, Busse, Eisenbahnwaggons oder sperrige Ladung – zum Beispiel Motoryachten – auf Trailern bis zu einer Höhe zwischen 4 und 6 m unterzubringen sind. Diese Decks sind daher auch als Schwerlastdecks ausgelegt und tragen 1500 bzw. sogar 2500 kg pro Quadratmeter, während die übliche Tragfähigkeit bei 250 bis 300 kg liegt. Bei gemischten Ladungen hilft der Einsatz von elektronischer Datenverarbeitung, den Laderaum möglichst effektiv zu nutzen und die Fahrzeuge unter bestmöglicher Anpassung an die Reihenfolge der vorgesehenen Häfen abzustellen, um das zeitintensive Umstauen auf ein unvermeidliches Minimum zu reduzieren.

Im Ruderhaus der BOHEME
(Foto: Alfred Rostek)

Über ein Rampensystem werden die Autos innerhalb des Schiffes auf die verschiedenen Decks gefahren. Als Verbindung zum Kai dienen eine Heck- und eine Seiterampe. Die Heckrampe trägt pro Quadratmeter 2,5 t und ist mit einem Gesamtgewicht von 125 t zu belasten, so dass auch schwerste Fahrzeuge die 12 m breite Öffnung im Heck des Schiffes passieren können. Das Eigengewicht der Rampe beträgt 160 t. Die Seitenrampe ist kleiner dimensioniert, trägt maximal 30 t und bietet eine Durchfahrtsbreite von 4,74 m.

Schiffe wie die BOHEME werden weltweit eingesetzt Einen Eindruck von den zeitlichen Dimensionen einer typischen Reise von Europa nach Nordamerika vermitteln die folgenden Daten: Das Schiff startet zum Beispiel im schwedischen Göteborg und verlässt nach Zwischenstopps in Bremerhaven, Zeebrugge und Southampton am 5. Tag Europa. Am 13. Tag ist New York als erster amerikanischer Hafen erreicht, bis zum 17. Tag folgen an der Ostküste Charleston, Jacksonville und Brunswick. Am 27. Tag läuft das Schiff nach der Passage des Panama-Kanals in Mazatlan an der Westküste Nordamerikas ein und bedient danach noch Port Hueneme und Tacoma. Schließlich beginnt am 33. Tag die Reise über den Pazifik nach Japan, wo das Schiff an den Europa-Japan-Dienst der Reederei anknüpft.     

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