GROSSER KURFÜRST

Rassewagen auf dem Dampfer GROSSER KURFÜRST –
Als die ersten Autos über See fuhren

1885/86 konstruierten Karl Benz und Gottlieb Daimler unabhängig voneinander die ersten fahrtüchtigen Automobile mit Verbrennungsmotor. In den folgenden Jahren kamen weitere Werkstätten sowie erste Fabriken hinzu, und bald rollten immer mehr „Kraftdroschken“ für ein zunächst noch exklusives Publikum über die Straßen. Mit der Produktion des berühmten Modells „T“, das im Laufe von 19 Jahren in 15 Millionen Exemplaren ausgeliefert wurde, leitete Henry Ford ab 1908 in Amerika die Massenmotorisierung ein. Fünf Jahre später begann in seinen Werken die Herstellung von Autos auf Fließbändern, und bald wurden auch die ersten Autos auf die Eisenbahn oder das Schiff verladen. 

 

Verladung eines PKW auf ein Passagierschiff des Norddeutschen Lloyd an der Kaiserschleuse in Bremerhaven, 20er Jahre. (Foto: Sammlung Werner Siebert)

Einer der ältesten überlieferten „Massentransporte“ von Autos über See ging in Deutschland von Bremerhaven aus. Dabei handelte es sich allerdings nicht um eine Lieferung von Neuwagen, sondern die Beförderung von Teilnehmern an der sogenannten „Prinz Heinrich-Fahrt“ im Jahre 1911. Unter der Leitung des Kaiserlichen Automobil-Klubs waren die Autos am 5. Juli in Homburg gestartet und hatten am 7. Juli nach einer Fahrt über Köln und Münster Bremerhaven erreicht, wo der teilnehmende autobegeisterte Prinz Heinrich unter anderem von seiner Gemahlin und Direktoren des Norddeutschen Lloyd begrüßt wurde. Zwei Tage später stellte man die Wagen zur Verladung auf den Dampfer GROSSER KURFÜRST bereit, denn die Fahrt sollte in England fortgesetzt werden. Die Nordwestdeutsche Zeitung berichtete von dem damals noch einmaligen Ereignis:
Vier Ladebäume des Dampfers und der große Schwimmkrahn, der von der Wasserseite über den etwa 20 Meter breiten Dampfer hinweg langte, hoben die Autos. Vier starke Schwebebrücken lagen vor dem „Großen Kurfürst“. Jede für ein Auto bestimmt. Ein Wagen fuhr hinauf, der Benzin wurde abgelassen, die Vorderräder gegen starke bandagierte Bohlen gestützt, alle vier Räder mit Tauen an der Schwebebrücke gesichert. Ein Pfiff des Bootsmanns, und die Stahltrossen spannten sich. Ein Ruck – und der Wagen schwebte in der Luft, das Vorderteil etwas geneigt. Wie ein Spielzeug sahen die schweren Wagen hochoben aus. Das alles sah so einfach und so sicher aus, daß dem Beobachter gar kein Zweifel an einem Mißlingen kam. An Bord wurden die Wagen gut verstaut, damit sie bei Seegang nicht Schaden nehmen können. Der „Große Kurfürst“ nahm 65 oder 66 Autos an und behielt doch noch eine Menge Platz übrig. Einträchtig stehen sie jetzt an Bord: die Syddeley mit dem sargähnlichen Kühler, die Rassewagen der österreichischen Daimler-Werke, die Horch mit dem hochgewölbten Kühler, die niedrigen Adler, die kräftigen Benz ...  

Mit der ODIN, die hier eine Werbeaufschrift der Ford-Werke zeigt, setzte der Hamburger Reeder Arnold Bernstein 1925 die erste “schwimmende Garage” der Welt in Fahrt.

Für die hier geschilderte gelegentliche Verschiffung einiger Rennwagen war ein gewisser Aufwand an Zeit und Material sicherlich zu rechtfertigen. Doch schon bald stellte sich die Frage nach einer rationelleren Beförderung auch größerer Mengen von Autos über See. So gründete in den zwanziger Jahren Ford ein Zweigwerk in Kopenhagen, das den gesamten skandinavischen Raum beliefern sollte – und zwar per Schiff. Die in einem dichten Netz regelmäßiger Verbindungen zwischen Kopenhagen, Malmö, Oslo und Helsinki verkehrenden Dampfer erwiesen sich allerdings als nicht sonderlich geeignet für den Automobiltransport, denn die kleinen Schiffe boten in ihren Laderäumen nur wenig Platz. Auch trieben die engen Luken den Kranführern Schweißtropfen auf die Stirn, wenn sie versuchten, die wertvollen Neuwagen ohne Schrammen oder Beulen an Bord zu setzen. Also verpackte man die Autos in sperrigen hölzernen Kisten, was allerdings nicht nur aufwendig und teuer war, sondern auch mehr Platz in den Laderäumen beanspruchte.

Blick auf das überdachte Hauptdeck der ODIN. (Foto: Sammlung Ronald Barnes)

Diese Situation rief 1925 den jungen Hamburger Reeder Arnold Bernstein auf den Plan, der auf seinem aus einem ehemaligen Kriegsschiff umgebauten Frachter ODIN erfolgreich Lokomotiven von Deutschland nach Russland verschifft hatte. Bernstein entwickelte nun die Idee, seinen Dampfer zu einer „schwimmenden Garage“ umzugestalten. Dazu wurde das Hauptdeck überdacht und mit einer Auffahrrampe versehen, um die Autos unverpackt und mit eigener Kraft an Bord fahren zu können. Ferner baute man einen Lift ein, der zu den unteren Decks führte. Jetzt war die ODIN in der Lage, 240 neue Fords zu laden. Die kurze Zeit später in Fahrt kommende AEGIR konnte sogar noch mehr Wagen stauen, und Bernstein beobachtete anlässlich eines Aufenthaltes in Stockholm mit Genugtuung, wie dort angeblich innerhalb von nur etwa einer Stunde 320 Autos von Bord rollten. Im ersten Jahr verschiffte Bernstein, dessen faszinierende Autobiographie vom Deutschen Schiffahrtsmuseum veröffentlicht wurde, bereits 18000 PKW. Der junge Reeder baute auf diesem Erfolg auf, setzte bald auch für den Automobiltransport spezialisierte Eisenbahnwagen ein, erweiterte das Geschäft auf die Verschiffung von Traktoren und Autos amerikanischer Produktion nach Europa und darf als Pionier des heute selbstverständlichen Roll on / Roll off (RoRo)-Transportes gelten.

Über eine Rampe verlassen die Autos mit eigener Kraft das Schiff. (Foto: Sammlung Ronald Barnes)

Allerdings brachten der rasch voranschreitende Aufbau der Automobilproduktion in Europa, vor allem aber die Weltwirtschaftskrise das zunächst außerordentlich florierende Geschäft Bernsteins schon Anfang der dreißiger Jahre fast zum Erliegen und veranlassten den Reeder, in die Fahrgastschifffahrt zu wechseln. Seine innovativen Ideen verschwanden in der Schublade. Andere Unternehmen mochten das Risiko, das mit der Spezialisierung von Schiffen auf den Transport eines einzigen Industrieproduktes zweifellos verbunden war, nicht eingehen. So verlud man Autos – verpackt oder unverpackt – durchweg wieder auf konventionellen Schiffen und mit Hebezeugen.

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